Es sind vor allem Drei- bis Siebenjährige, die für eine Weile mit solchen Fantasiefiguren leben. Die Kinder spielen und sprechen mit ihren Wesen, die einen sind wahre Riesen, andere haben Platz in der Hand oder in der Hosentasche. Oft sind es menschliche Wesen, es gibt aber auch Fantasiegestalten oder Tiere. Wie zum Beispiel bei Aisha.
Ihre imaginären Freunde sind ein Wolf und zwei Tiger. Der böse Tiger, der liebe Tiger und der liebe Wolf. Doch es ist nicht so, wie es zu sein scheint. Denn der böse Tiger ist der nette, feine, tiefgründige. Er ist Aishas Beschützer. Der liebe Tiger aber macht dauernd Blödsinn, ist rotzfrech und ärgert nicht nur Aisha dauernd, sondern auch die beiden anderen imaginären Freunde. «Nein, das darf man doch gar nicht, schäm dich, lieber Tiger», schimpft Aisha, wenn der liebe Tiger schon wieder dem lieben Wolf eine runtergehauen hat. Und die Vierjährige schämt sich fremd, wenn der liebe Tiger lautstark dem Nachbarsjungen die übelsten Schimpfwörter hinterherschreit. Dann schleift sie ihn an der Pfote rein und er muss den Rest des Tages im Zimmer bleiben. Hausarrest. «Der liebe Wolf, der ist noch sehr scheu», erklärt Aisha, «er versteckt sich immer hinter mir, weil er Angst hat vor dem lieben Tiger.»
So ein imaginärer Freund ist einfach ein unglaublich dufter Typ, der alles kann, alles darf und alles relativ unverletzt überlebt. Der Gefährte kann lieb und hilfsbereit sein, er kann aber auch böse sein, frech, Schimpfwörter brauchen und fluchen. Und muss trotzdem nie mit dem Geschimpfe von Mama oder Papa rechnen. Praktisch sind die Wesen auch darum, weil imaginäre Freunde Felder abdecken können, auf denen sich die Kinder unsicher fühlen. Fachleute nennen sie auch soufflierende Engelchen und Teufelchen, mit denen Kinder die Welt voller Ge- und Verbote durchschiffen können.
Pauls Wesen jedenfalls ist sehr speziell. Er heisst Rico, ist bärenstark, schon erwachsen und ein ganz toller Typ. Er ist mutiger als Papa, fährt rasend schnell Auto, macht Sprünge bis in die Wolken, verdrückt drei Teller Pommes in zwei Minuten und matscht eine ganze Flasche Ketchup obendrauf. Er macht mit Paul Piratenschiffversenken und Schaumschlachten in der Badewanne, er ist Pauls bester Kumpel. «Rico hat sooo viele Muskeln und ist sooo mutig», schwärmt Paul dem Papa vor. Und Papa wird ein bisschen eifersüchtig auf den unsichtbaren, muskelbepackten Superman. Da kann er nicht mithalten.