Mir dämmert langsam, woher mein Unbehagen mit diesem Muttertag kommt. Die Kinder und ihre gebastelten Herzchen sind nicht das Problem. Die sind herzig. Das Unbehagen kommt von der Aufopferungsseite angeschlichen. Kindliche Dankbarkeit, um die Ungerechtigkeit zu manifestieren, die nicht die Kinder, sondern die Gesellschaft über unsere Grossmütter und Mütter gebracht hat.
Ohne Murren weiter so
Als der Muttertag 1923 aus den USA übernommen wurde, war die Botschaft ziemlich klar. Ein Sträusschen auf dem Tisch für die politisch entrechtete, finanziell abhängige Mutter, dazu ein Kärtchen «der lieben Mama». Das war dem Patriarchat nur recht, aber vor allem sehr, sehr billig. Die Botschaft des Muttertags lautete: Wir ehren dich an diesem einen Tag. Mach bitte ohne Murren weiter so, sonst kracht nämlich das ganze System zusammen. Dass dieses Mutterbild noch nicht so weit in den Geschichtsbüchern verstaubt, wie ich das vielleicht gerne hätte, merkt, wer im einschlägigen Online-Handel «Muttertagsgeschenk» eingibt. Ein gerahmtes Herzbild mit dem Satz «Du hast für mich zurückgesteckt, darum bist du für mich die beste Mutter der Welt», für 23 Franken bringt es die Botschaft recht gut auf den Punkt.
Nun, ich gehöre einer anderen Generation Frauen an. Ich bin und war nie eine aufopferungsvolle, selbstlose Hausmutter. Ich wollte auch mit Kindern so gleichberechtigt wie nur möglich leben. Doch kaum schwanger, habe ich dann doch gefunden, dass es biologischlogisch ist, dass ich weniger hochprozentig arbeite als mein Mann. Dass ich alleinig zuständig bin für Nahrung, Wäsche, Bildung und emotionale Nähe, ich bin ja die Mutter. Jean-Jacques Rousseau hätte seine helle Freude an mir und meinem Mutterinstinkt gehabt. Der Genfer Pädagoge und Aufklärer verschriftlichte 1726 in seinem Buch «Emile oder über die Erziehung», was heute noch viele denken und nicht wenige (Mütter) auch fühlen: Dass der Frau das mütterliche, umsorgende und aufopferungsvolle in den Busen gelegt ist. Sie könne gar nicht anders, als das Kind mehr zu lieben, sich mehr verantwortlich zu fühlen als der männliche Erzeuger, war Rousseau überzeugt.
Biologisch-logisch
Es dauerte Jahre und das Studium einiger feministischer Literatur, bis ich erkannte, dass für mich nichts daran logisch ist (ausser das Gebären und Stillen), sondern vor allem eines; unfair. Dass die Rolle der alleinigen Umsorgerin für manche Frauen stimmig ist, aber nicht für alle, nicht für mich. Mein Mann jagt draussen auch keine Mammuts, sondern backt die tollsten Torten. Wir leben, arbeiten und erziehen nun so gleichberechtigt, wie wir das wollen und meistens funktioniert das sehr gut. Und dann kommt jedes Jahr am zweiten Sonntag im Mai dieser Muttertag, wie aus einer längst vergangenen Zeit, angeschlichen und raunt mit hämischer Stimme: «Hallo Mütterchen, hast du dir die Liebe deiner Kinder auch schön verdient? Bist du auch genug aufopferungsvoll gewesen, hast du auch alles getan, damit sie glücklich sind?»
Eine Freundin, mit der ich über mein Unbehagen mit diesem Dankbarkeitsthema rede, sagt zu mir. «Nicht der Muttertag ist dein Problem, sondern dass du dich von diesem Tag auf eine eindimensionale, für dich nicht stimmige Rolle reduziert fühlst. Aber du bist immer ihre Mutter, ob du im Büro arbeitest, Mittagessen kochst, dich am Elternabend meldest oder am Wochenende tanzen gehst. Du als ganze Person bist ihre Mutter, immer und für immer und du machst das gut.» Ich schaue sie lange an und irgendwas in mir drin macht klick.
Wofür bin ich meiner Mutter heute dankbar?
Wenn ich aber an meine Mutter denke, dann spüre ich sehr wohl, dass ich ihr dankbar sein sollte, für meine typische 1980/90er-JahreKindheit, die sie in meiner Erinnerung alleine schulterte. Meine Mutter passt ins Raster der damaligen Zeit. Sie hat ihren LehrerinnenBeruf für die Familie aufgegeben. Als das Geld etwas knapp wurde, arbeitete sie stundenweise in Jobs, für die sie masslos überqualifiziert war. Aber es gab keine andere Möglichkeit, auf dem Land, ohne Kitas, ohne Tagesstrukturen, ohne Solidarität wohl auch unter den Müttern. Jede musste das irgendwie alleine schaffen. Als die alleinige Erfüllung durch das Muttersein ausblieb, stellte sich Unzufriedenheit und Groll ein. Aufs System aber wohl auch auf uns Kinder, die, ausser am Muttertag, wenig Dankbarkeit zeigten. Auffallend auch, wie mein Vater stets besorgt war, dass wir den Muttertag nicht vergessen. Heute ist mir klar, er wusste um die Unzufriedenheit und Ungerechtigkeit. Wenn jemand dankbar sein musste, dann er.
Trotzdem fühle ich heute grosse Dankbarkeit, wenn ich auf meine Kindheit zurückblicke. Aber nicht darauf, dass sich meine Mutter aufgeopfert hat, ihre Wünsche zurückgesteckt hat. Nein, ich war stolz, als sie wieder als Lehrerin zu arbeiten begann. Fand es lustig, dass mein Vater nun ein Mittagessen pro Woche für uns kochen musste, und es anfangs immer das gleiche Nudelgericht gab.
Dankbar bin ich ihr, dass sie mich so erzogen hat, dass ich früh auf eigenen Beinen stehen konnte. Dass sie mir den Glauben mitgab, dass ich mir meine Träume selbst erfüllen kann. Dankbar war ich ihr als Kind immer, wenn sie für mich eingestanden ist. Wenn sie mir gezeigt hat, dass sie mich und was ich tue gut findet. Wenn sie mir geholfen hat, egal wobei. Dankbar bin ich ihr, dass sie mir Freiheiten und Möglichkeiten zugestanden hat, die sie nicht hatte.
Ich glaube, positive Dankbarkeit hat viel mit einem gesunden Gefühl der Demut zu tun. «Ich hatte Glück! Meine Eltern sind gute Menschen, sie haben mir alles ermöglicht» – um so fühlen zu können, muss die Erkenntnis aus einem selbst kommen, nicht aus einer Schuldigkeit heraus.