Auf einem Pferd im gestreckten Galopp. Das war mein Leben, bevor ich mit vierzig Jahren zusammenbrach. Kurz vor dem nächsten Hindernis stürzte ich ab. Das Pferd lief weiter, konnte aber wieder eingefangen werden. Der Reiter wurde mit mittelschweren Verletzungen in das Krankenhaus eingeliefert.
In Stücke geschlagen. Nadelblicke auf der Haut und unter Haifischen bluten. Den Schmerz konnte ich noch nicht einmal ordentlich ausbuchstabieren. Ich sah etwas giftgelb aus und leicht angegraut, ausgefranst, und gewellt lag ich da, mit dem Tabletten-Blister in der Hand. Ob dieser Scheiss wirkt, weiss man eh erst in acht Wochen. Das geübte In-sich-Hineinfressen ging nicht mehr, kein Betäubungsmittel mehr weit und breit. Mich überfiel die Panik wie ein Dieb. Angst angeknipst, Augen rot geweint, der Glühfaden dieser Scheiss-Werbetafel war unkaputtbar.
Alles richtig gemacht?
Dabei hatte ich doch alles richtig gemacht: um die Welt reisen, Karriere machen, Kind bekommen, gutes Einkommen, grosser Freundeskreis, schöne Frau, teure Hochzeit. Von aussen betrachtet, von weit weggesehen, führte ich ein grossartiges, erfolgreiches Leben, auf das ich sicherlich stolz sein konnte. Doch der Schein trog, sorgenfrei war ganz woanders, denn nachts hielt mich die Panik vom Schlafen ab. Ich plante stundenlang Projekte im Halbschlaf, führte fiktive Gespräche in der Agentur, trug nachts Konflikte aus. Zum Schluss schlief ich nicht mehr vor drei Uhr morgens ein. Ich war tagsüber völlig gerädert und gereizt und soff stets Zwölferpacks Energydrinks. Die letzten paar Jahre versuchte ich es noch mit Betäubung, mehr Gras, mehr Alkohol.
Irgendwann wurde es mir einfach zu viel, ständig der Beste sein zu müssen, immer den Starken zu spielen, den Sonnenschein-Typen, den scheinbar nichts gross juckte, den Party-Löwen, der für ausgelassene Stimmung sorgte. Andererseits wusste ich nicht, wie ich damit aufhören sollte von jetzt auf gleich, bis ich irgendwann einfach zusammenklappte. Es folgten in immer kürzeren Abständen diese Panikattacken. Immer, überall, morgens, mittags, abends, nachts, im Zug, im Auto, auf dem Klo, bei der Arbeit, im Club, sonntags am Familientisch, in der Fussgängerzone, im Bett, beim Schlafen. Meine Familie und Freunde empfahlen mir, umgehend eine Therapie zu machen, die ich dann auch begann. Bloss, als der Therapeut auch nicht mehr weiterwusste und für drei Wochen in den Urlaub nach Kuba flog, war ich dazu gezwungen, stationär eine Klinik zu besuchen. Aus drei Wochen wurden sechs lange Monate. Die Kluft zwischen meiner äusseren Persönlichkeit, dem obercoolen Werbemanager und Superdaddy, und meinem inneren Ich, dem sensiblen, ängstlichen und nervösen Jungen, war so gross geworden, dass ich darin komplett verschwand. Hokuspokus. Dass ich einen Zusammenbruch erlitten hatte, mein Leben nicht mehr in den Griff bekam, machte mich in meinen Augen zum Versager. Der Klinikaufenthalt zu einem Irren.
Mir wurde klar, dass von nun an alles anders sein würde. Aber wie sehr, das war mir noch nicht bewusst. Ich stand in der Blüte meines Lebens, ich hatte alles getan, was von mir erwartet wurde, und jetzt sass ich hoffnungslos gescheitert und gedemütigt und ohne Selbstbewusstsein da. Was nun? Wie sollte es weitergehen? Fand ich einen Wegweiser zu einem gesünderen Leben? Neuorientierung. Das Leben schien mir so karg und grau wie ein kalter Winter. Alles war Verlust und Untergang. Erschöpfungszustände. Eine Depression folgte, schwängerte die Angststörung. Schweissgebadet wach liegen. Die Stille der Klinik bot mir die Möglichkeit, darüber nachzudenken, wie ich in diesem Niemandsland gestrandet war. Was war schiefgelaufen? Wo genau war ich auf einer Sandbank gestrandet? War ich wirklich so glücklich gewesen, wie ich geglaubt hatte? War meine Ehe kaputt? Könnte das Leben auch etwas anderes sein als diese eine schnurgerade Strasse, auf der man Meilensteine abhakt?