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«Die Liebe zählt. Doch wer zahlt?»

Über nichts streiten Paare häufiger als ums Geld. Vor allem, wenn aus zweien Familie wird. Muss das sein?

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«Die Liebe zählt. Doch wer zahlt?»

Über nichts streiten Paare häufiger als ums Geld. Vor allem, wenn aus zweien Familie wird. Muss das sein?

Geld ist wie ein Waschetikett im Pullover. Es gibt vor, was man sinnvollerweise tun oder besser lassen sollte. Und – es piekt. Vor allem in Liebesbeziehungen. 30 bis 80 Prozent aller Paare streiten um die Finanzen wie die Besenbinder. Über die exakte Zahl streiten auch die Wissenschaftler. Einigkeit herrscht dagegen beim Fazit der Studien: «Geld» steht unangefochten auf Platz eins aller Partnerschafts-Zank-Anlässe. Weit abgeschlagenfolgt der übrige Kleinkram wie Hausarbeit, Kindererziehung und Sex. Und geht erst eine Beziehung in die Brüche, gibts ohnehin kein Halten mehr. Dann wird um jeden Rappen gefeilscht und geschachert, der einst Geliebte gelinkt und der Anwalt rund gefüttert, dass man sich nur die Augen reiben kann. Unabhängig davon, ob es ums Existenzminimum der zankenden Parteien geht, oder um umgerechnet 74 Millionen Franken, die etwa Paul McCartney zähneknirschend Heather Mills nach der Scheidung zahlen musste. Doch weshalb ist das so? Warum können Paare problemlos über den Job, die Flohkur für die Katze, über Atomkraft, Kinder oder das Kamasutra miteinander reden, nur nicht über Geld?

Träume und Macht

«Weil es dabei um alles geht», sagt Rolf Haubl, Psychologe mit dem Forschungsschwerpunkt «Finanzen» und stellvertretender Direktor des Sigmund-Freud-Instituts in Frankfurt am Main: «Sobald es um Geld geht, geht es gleichzeitig um Status, um Macht, um emotionale Bedürfnisse, Sexappeal, Rollenbilder, Träume und die Muster im Umgang mit Geld, die man in der eigenen Herkunftsfamilie gelernt hat. Wie gesagt: Es geht einfach um alles.» Alles? Wie kann das sein, wo doch – laut internationaler Befragungen – 80 Prozent der Europäer finden, Geld spiele in guten Beziehungen keine Rolle, bedeute nichts, statt alles. Rolf Haubl seufzt. Wie man halt milde seufzt, wenn jemand den grössten Schwachsinn verzapft, das aber rührend naiv. «Besonders am Anfang der Liebe möchte das Pärchen so etwas Nüchternes wie Finanzen fernhalten, um auf keinen Fall die guten Gefühle zu beschädigen. Vielmehr wollen die beiden ein Bollwerk gegen die berechnende Welt da draussen bilden.»

Romantik und rollender Rubel – das passt scheinbar nicht zusammen. Wie hätte das auch ausgesehen, wenn Julia Romeo gemahnt hätte, die teuren Balkonpflanzen beim Hochklettern nicht zu zertrampeln oder Kate Leonardo beim Versinken: «Wie sieht es eigentlich mit deiner Lebensversicherung aus?» hinterhergerufen hätte. Unschön.

Heutzutage. In früheren Zeiten hingegen war es selbstverständlich, dass Prinzessin X, Prinz Y heiratete, weil sein Königreich strategisch günstig lag. Jahrhunderte wurde um Mitgiften gestritten, wurden Ehen nach Kalkül geschlossen oder – wie in zahlreichen Ländern noch immer – kühl berechnend von den Eltern arrangiert. Doch heute spukt überall in der westlichen Welt in den Köpfen herum: «Nur die Liebe zählt.»

Leider führt aber «blinde Liebe» bei Finanzen in eine Sackgasse. Denn irgendwann, wenn die Turtelnden in eine gemeinsame Wohnung ziehen oder wenn aus den zweien Familie wird, müssen Brillen gegen die Blindheit her und die (Kredit-) Karten auf den Tisch.

Schliesslich verschiebt sich durch eine Familiengründung im Budget so einiges. Da sind plötzlich Kosten von rund 600 Franken pro Jahr allein für Wegwerfwindeln, das Geld für Kinderwagen und -bettchen, die neue grössere Wohnung, Versicherungen, Babyschwimmen … Da verdient der Mann, laut Statistik, als Vater 19 Prozent mehr als vorher, während die Frau in einem Fünftel der Schweizer Haushalte mit Kindern nun über kein eigenes Einkommen mehr verfügt. Etwa die Hälfte der Mütter trägt, laut «Tagesanzeiger», ein Viertel zur Haushaltskasse bei und gerade mal 7 Prozent erarbeitet mindestens die Hälfte des Gesamteinkommens der Familie.

Alles in einen Topf?

Tja. Wie siehts jetzt aus mit der Gleichberechtigung in der Beziehung? Schleicht sich ein Machtgefälle ein? Wer bestimmt fortan über die Ausgaben? Wer hat das Sagen? Der, der mehr verdient? Und was ist es wert, ein fiebriges Kind zu trösten? Wie müssen abgesägte Karriereleitern finanziell veranschlagt werden? Und soll alles Geld, wie bei Zweidritteln der Schweizer Familien, in einen Topf? Oder behält man zwei Konten und teilt alle Kosten hälftig, unabhängig vom Verdienst? Oder drei Konten einrichten? Anlässe, gemeinsam sachlich und vernünftig über die Bücher zu gehen, gäbe es also reichlich.

Das Gegenteil von sachlich ist allerdings die gängigere Variante. «Bei Geldstreitereien sind Männer und Frauen irrational, verbissen und kindisch», zieht Lauren Papp von der University of Wisconsin nach ihren Langzeitstudien leicht angewidert Bilanz. Männer wurden bei Finanzkonflikten zügig aufgebracht, laut und beleidigten die Partnerin, während Frauen ebenso zügig resignierten oder weinten. Kein anderes Konfliktthema wird so häufig an die Wand gefahren wie der Zank ums Geld. Deshalb ist das Scharmützel um die Scheine der häufigste Trennungsgrund.

Nur – warum? Vielleicht weil wir nie gelernt haben, unbefangen über Geld zu reden? Weil Diskretion zum Geld gehört, wie vermeintlich das Bankgeheimnis zu Finanzinstituten? Weil man es zu haben hat und nicht darüber spricht? Oder – weil uns schlicht die Begriffe fehlen?

Das zumindest findet Michael Mary, Hamburger Paartherapeut und Autor des Buchs «Liebes Geld»: «Über Geld vernünftig zu reden ist unmöglich, weil es zu wenige Wörter gibt.» Zu wenige Wörter? Geld, Knete, finanzielle Mittel, Moneten, Schotter, Zaster … «Es fehlen nicht irgendwelche Wörter, sondern präzise Wörter, die sowohl die Art der Beziehung, als auch das dementsprechende Geld exakt bezeichnen.»

«Geld» sei viel zu schwammig, «Liebe» sei viel zu schwammig. Schliesslich bestünde eine Beziehung zu einem Teil aus Partnerschaft, zu einem Teil aus Freundschaft und einem aus Leidenschaft. Zur Partnerschaft gehört alles sachlich Organisatorische. Etwa: Wer holt das Kind aus der Krippe? Freundschaft ist das Nette, was man macht, um dem anderen Gutes zu tun und das sich irgendwann mal zwischen den beiden ausgleicht. Und Leidenschaft ist dieses unkontrollierte Lodern als Ausdruck der Liebe. Zu jeder Liebesform, erklärt Mary, gehöre ein spezielles Geld: Partnergeld, Freundesgeld, Liebesgeld. «Immer dann, wenn Liebesart und Geldart nicht zueinander passen, knirscht es in der Beziehung.» Partnergeld, etwa Mietkosten, ist sachliches «kühles» Geld. Man kann damit mathematisch rechnen, Verträge abschliessen, man darf daran erinnern und es getrost einfordern.

Freundesgeld ist «wärmer», etwas, was ein Partner dem anderen gönnt. Beispielsweise ihr das Freundinnen-Weekend im Engadin, ihm als Angler ein Jahres-Abo von «Rute und Rolle». Hier kommt es nicht so genau darauf an, doch in etwa sollte sich das Geben und Nehmen auf lange Sicht die Waage halten. Ansprüche? Gibt es nicht. Liebesgeld legt, nach Marys Konzept, noch ein paar Grad an Temperatur zu, es ist heiss. Wie Leidenschaft heiss ist. Zum Liebesgeld gehören Geschenke aus Liebe. Der Ring. Die auf dem Flohmarkt erstandene Miles Davis Platte aus Vinyl … Hier wird Geld für den anderen ausgegeben als Ausdruck der Liebe. Zu verhandeln gibts hier nichts, nichts einzufordern und Gegenleistungen dürfen nicht erwartet werden.

«Bei Geldkonflikten ist es deshalb hilfreich zu klären, um welche Geldsorte es geht. Das macht es leichter, darüber zu reden und den passenden Ton zu finden», erklärt Mary. «Nie überraschst du mich mit einem Blumenstrauss, wo ich doch hier die ganzen Wäscheberge wegbügele», sei genauso schräg wie «Ich habe schon wieder die Kita-Rechnung bezahlt, dann wirst du doch wohl mal mit zu meinen Eltern kommen können.»

Betreuung als Kapital

Ausserdem, rät Michael Mary, solle man im Kopf eine Art Bilanz erstellen, was jeder in die Beziehung einbringt. Kapital in Geldform, Kapital in Form von Betreuungsleistungen, aber auch Schönheit als Kapital, Sozialkontakte … «Und dann wäre es klug, die Beziehung vom Ende her zu denken und die Gegenwart entsprechend zu regeln», empfiehlt der Paartherapeut zutiefst unromantisch. Denn soll im Falle einer Trennung wirklich unberücksichtigt bleiben, wer die demente Schwiegermutter gepflegt hat? Soll nach dem Crash keine Rolle spielen, wessen Karriere durch drei Kinder geschreddert wurde? Was bedeutet es auf lange Sicht, wenn ein Gehalt stets in Ferien und Nachhilfe fliesst und vom zweiten Einkommen die Eigentumswohnung finanziert wird? Wenn einer immer die Runden mit dem Familienhund dreht, während der andere seinen MBA-Abschluss in Abendkursen nachholt? «Gerade Frauen veranschlagen ihr nicht-monetäres Kapital oft viel zu niedrig, denken nicht an die Spätfolgen und stehen im Falle einer Trennung dumm da», sagt Mary. Vorher offen und sachlich miteinander zu reden und mithilfe präziser Wörter Ross und Reiter zu nennen, wäre schlauer. Weil Romantik keine Rechnungen bezahlt.

Denn ein Statement von Marcel Reich- Ranicki im Hinterkopf zu haben ist – bei aller Liebe – nicht ganz verkehrt: «Geld macht zwar nicht glücklich, aber es ist besser in einem Taxi zu weinen als in einer Strassenbahn.»

Geldprobleme

Acht Fallbeispiele aus dem Familienalltag. Analysiert und gelöst von Paartherapeut Michael Mary.


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Weitere Informationen

plus

Michael Mary: «Liebes Geld – Vom letzten Tabu in Paarbeziehungen», Piper, Fr. 28.90

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