Wollen Eltern denn so stark in die Gestaltung miteinbezogen werden? Sind sie in ihrem Schmerz nicht absolut überfordert damit?
Ich habe noch nie Eltern erlebt, die etwas bereut hätten, was sie in der Abschiedszeit mit ihrem Kind gemacht haben. Es gibt nur Reue darüber, was nicht gemacht wurde. Das Kind hatte einen Charakter, egal wie jung es starb. Daraus ergeben sich Bilder, Wünsche, Ideen, wie Eltern die letzte Zeit mit ihrem Kind gestalten möchten. Sie sollen und dürfen bei jedem Schritt entscheiden. So statten die meisten Eltern den Sarg selber aus. Manchmal häkelt eine Mutter eine kleine Decke, um ihr Kind darin einzuwickeln. Oder Geschwister malen das Särglein an. Wenn wir auf dem Friedhof stehen und es geht darum, den Sarg ins Grab hinabzulassen, wissen die Eltern vielleicht noch nicht, ob sie dies dem Friedhofsgärtner überlassen oder es selber tun möchten. Ich ermutige sie, möglichst viele Handlungen selber zu übernehmen.
Allein beim Zuhören kommen mir die Tränen. Das hat wohl auch viel mit der Tabuisierung von Sterben und Tod in unserer Kultur zu tun – erst recht, wenn ein Kind stirbt. Wie durchbrechen Sie dieses Schweigen?
Eine Trauerkultur wird bei uns seit 100 Jahren nicht mehr gelebt. Wir Bestatter haben die Aufgabe, die rituelle Form des Trauerns wiederzubeleben. Früher wuschen die Angehörigen die Verstorbenen, zogen ihnen die schönsten Kleider an und bahrten sie in der Stube auf. Weil jeder den Toten noch besuchen konnte, spürten die Hinterbliebenen die Anteilnahme. Für einen gesunden Trauerweg braucht es solche Rituale.
Wie lassen sich solche Trauerriten zurückholen?
Zunächst, indem man Gefühle zulässt. Alle. Die Trauergefühle sind immens und es wird viel – aber nicht nur – geweint. Manchmal, wenn Eltern sich an Schönes erinnern und eine Anekdote erzählen, entstehen kurze Momente der Leichtigkeit. Durch die Emotionen und die äusseren Handlungen der liebevollen Totenfürsorge vollzieht man die inneren Abschiedsschritte: Wenn Eltern ihr Kind noch einmal kämmen, waschen, ölen und ankleiden, hat das etwas sehr Heilendes.
Viele Menschen scheuen sich davor, einen Toten zu berühren …
… noch mehr Angst haben viele bei der Vorstellung, einen Toten ein paar Tage bei sich zu Hause aufzubahren. Ich verstehe diese Angst. Trotzdem ermuntere ich die Eltern, ihr totes Kind noch eine Weile bei sich zu behalten. Wenn wir den Raum und den Körper so gut als möglich kühlen, ist das kein Problem.
Ewig kann man einen toten Menschen aber – auch aus rechtlichen Gründen – nicht bei sich daheim liegen haben.
Die Eltern sollen entscheiden, wann für sie der richtige Zeitpunkt für die Kremation oder die Sargbestattung gekommen ist. Ich habe Eltern begleitet, die ihr Kind mehrere Tage bei sich zu Hause oder im Sternenzimmer des Spitals behielten, um von ihm Abschied zu nehmen. Als sie merkten, dass der kleine Körper allmählich nicht mehr wie ihr Kind riecht, konnten sie es gehen lassen.