Beginnen wir mit einer Überspitzung, einem Szenario, das viele kennen und niemand sich wünscht: Mama karrt Kind Nummer 1 ins Ballett, rührt eine Stunde im Bistro nebenan im Latte macchiato, weil es sich nicht lohnt, für ein paar Sit-ups ins Fitnessstudio am anderen Ende der Stadt zu fahren. Papa bringt derweil Kind Nummer 2 zum Eishockey-Training und sitzt die Zeit in der kalten Halle ab, während Kind Nummer 3 allein zur Karateschule tingelt und wegen unerwarteten Ausfalls des Trainings die Zeit dann doch fröstelnd vor der Haustüre verbringt. Das war erst der Montag. Es folgen Dienstag bis Freitag. Und am Wochenende stehen sportliche Prüfungen, Auftritte und Wettkämpfe an.
Eltern ist es wichtig, dass ihre Kinder Sport machen. Bei verschiedenen Interessen wird daraus aber schnell eine übervolle Agenda und viel Stress für die Eltern. Einfacher geht es, wenn die ganze Familie gemeinsam eine Sportart ausübt – und so Familienzeit und Sportzeit eins werden. Und auch noch alle Spass daran haben. Bloss, wie schafft man das?
Bei der Mountainbiker-Familie von Patricia und Roger (siehe unten) sieht das ganz locker aus. Unter der Woche radeln sie mit ihren Kindern auf einen Hügel in der Umgebung, am Wochenende fahren sie einen coolen Pfad in den Bergen. Als Belohnung fürs Hochstrampeln lockt das Bad im Bergsee und ein Picknick aus dem Rucksack. Die ganze Familie freut sich auf die Abfahrt ins Tal.
Beim Familiensport geht nicht jedes Familienmitglied – abgekapselt von den anderen – seinem Hobby nach. Stattdessen wählen Eltern eine Sportart, die ihnen gefällt und bei denen die Kinder gleichberechtigt dabei sein können. Mit einer Sportart, die manchmal fürs Leben und über Generationen hinweg verbindet.
Vor 30 Jahren beschränkte sich der sportliche Familienelan auf Wandern, Velofahren und Skifahren. Mittlerweile aber hat sich die Palette an Sportmöglichkeiten für die Familie enorm vergrössert. Und Mütter hängen ihren Sportsgeist mit der ersten Schwangerschaft nicht mehr in den Mottenschrank. Heute kraxelt man im Familienkollektiv die Felsen hoch, absolviert zusammen OL-Läufe oder rollt mit Inlinern über den Asphalt.
Durch den gemeinsamen Sport begegnen sich Eltern und Kinder egalitärer als früher. Und das ist gut so, sagt der Sportpsychologe Robert Buchli (42). Er steht wegen eines Bandscheibenvorfalls am Tresen in seinem Büro in Bern, das Steinbockgeweih an der Wand und die Rennskistöcke eines ehemaligen Athleten daneben erwecken ein Gefühl von Bergluft und Sportpassion. In seinem Unternehmen für Sportpsychologie und Kulturentwicklung begleitet Robert Buchli zwar vor allem junge Leistungs- und Spitzensportler* innen, aber als dreifacher Vater ist der Brückenschlag zwischen Sport und Familie für ihn ein Leichtes. Sein Credo: Sport ist für Kinder das Spielzimmer fürs Leben.
Der eigene Körper wird ganz anders erfahren als beim Hocken vor dem Bildschirm, und das Kind lernt beim Bewegen in der Natur gemeinsam mit den Eltern, diese respektvoll zu nutzen.
Positives Klima schaffen
Aus seiner persönlichen Erfahrung als Vater weiss Robert Buchli aber auch, dass trotz aller Freundschaftlichkeit zwischen Eltern und Kindern die Rollen beim gemeinsamen Sport bestehen bleiben: «Die Aufgabe der Eltern bleibt die gleiche – sie müssen Grenzen setzen, da sein und loslassen können.» So liegt die Entscheidungshoheit und die Verantwortung weiterhin bei den Erziehenden. Denn schnell komme man in Situationen, wo zum Beispiel Fairness ein Thema wird: Wie fühlt sich der Kollege beim Fussball auf dem Spielfeld, wenn er nie den Ball kriegt? Wer darf beim Kontrollposten beim OL zuerst stempeln? Der gemeinsame Sport ist eine Chance, Empathie und Rücksicht gegenüber Schwächeren zu erfahren. So fördert Sport nicht nur Koordination, Gleichgewicht und Muskelstärke, sondern auch die psychische Gesundheit und den Teamgedanken. Sport ist Lebensschule.
Wie aber schaffen die Eltern beim gemeinsamen Sporttreiben ein positives Klima? Wie motiviert man auch weniger talentierte Kinder? Und wann ist es zu viel der familieninternen Konkurrenz? Zunächst einmal: «Machen – statt darüber reden!», rät Robert Buchli. Anstatt das Kind belehrend auf Fehler hinzuweisen, lieber echte Begeisterung vorleben. Miteinander etwas erleben ist wichtiger, als das Kind Richtung Leistung zu drängen.
Denn mitunter steckt hinter dem Sportspass die Ambition der Eltern, den Nachwuchs früh an Höchstleistungen heranzuführen. Obwohl selber Coach von jungen Sportlern, ist Buchli skeptisch gegenüber der frühen Talentförderung: «Lasst die Kinder bis 12 Jahren Breitensport machen», sagt er. Und neben dem Familiensport dürfe ruhig auch noch das eine oder andere sportliche Hobby Platz haben.
Zu Topsportlern werden Jugendliche sowieso nur, wenn sie nicht die Wünsche der Eltern zu erfüllen versuchen, sondern eine echte eigene Leidenschaft zum Sport entwickelt haben. «Ansonsten soll der Nachwuchs seine Kreativität vielleicht besser in der Kunst oder Musik ausleben», sagt der Sportpsychologe.
Ähnliches gilt für die Eltern: Aus Sportmuffeln werden zwar keine Superathleten. Aber wer erfährt, wie viel Spass das gemeinsame Bewegen macht, der kommt auf den Geschmack.
Drei Familien haben uns erzählt, was sie an ihrem Sport begeistert, wie sie Kinder motivieren und als Eltern trotzdem auf ihre Kosten kommen:
«Am Ende des Tages sind alle zufrieden»
Patricia Roth (46), Roger Essig (49), Noela (12) und Loris (10) verbringen ihre Ferien am liebsten auf Mountainbike-Trails.