Schuldgefühle nach Frühgeburt
Bei vielen Eltern bricht mit einer unerwarteten Frühgeburt alles zusammen. Das war auch bei Ishema Ewanga-Nde so. «Bin ich schuld? Was habe ich falsch gemacht? Habe ich mir zu viel zugemutet?»
Ishema Ewanga-Nde lebt in Lübeck (D). Gemeinsam mit ihrem fünfjährigen Sohn Elijas war die Altenpflegerin von der norddeutschen Stadt in die Schweiz gefahren, nach Freiburg, um ihre Schwester zu besuchen, elf Stunden Zugfahrt. Geplant war eine Woche Ferien. Ein paar Stunden nach der Ankunft ging schwallartig das Fruchtwasser ab.
Stark sind ihre Emotionen, als Ewanga-Nde die Ereignisse Revue passieren lässt: die ersten Tage auf der Geburtenabteilung, dann der Entscheid der Ärzte, das Kind zu holen, weil die Werte schlecht waren. Und nach dem Kaiserschnitt die Nachricht, dass Luana an einem schweren Infekt erkrankt war. «In dieser Zeit war ich total blockiert», sagt sie. Sie habe Luana zwar berühren, aber nicht wickeln oder waschen können. Es war alles zu viel.
Fühgeburt: Niemand kann etwas dafür
Und da war noch die Trennung von ihrem Sohn, der nach Lübeck zurückgereist war, zur Familie, damit er einen möglichst geregelten Alltag hat, in den Kindergarten gehen kann. Während sie, die Mutter, in Bern festsitzt, mit der Sehnsucht nach einem ganz normalen Alltag mit ihren Kindern. Jeden Tag fragt Elijas: «Mama, wann kommst du?» Sie weiss es nicht.
«Eltern machen sich oft schwere Vorwürfe», sagt die Ärztin Jane McDougall. Doch warum es zu Frühgeburten kommt, sei meist nicht zu eruieren. «Es gibt schon Faktoren, die das Risiko erhöhen, wie etwa Mehrlingsschwangerschaften oder Vorerkrankungen», so Jane McDougall. «Doch Frühgeburten geschehen. Niemand kann etwas dafür.»
Um den Eltern zu helfen, bietet das Inselspital das Programm «Cope» an. Betroffene lernen, mit ihren Schuldgefühlen, Ängsten und mit ihren Frühchen umzugehen. Zudem kümmern sich bei Bedarf hausinterne Psychologinnen um die Eltern. Ishema Ewanga-Nde hatte das Bedürfnis. «Die Gespräche mit der Psychologin haben mir sehr geholfen, mit meiner tiefen Trauer besser umzugehen», sagt sie.
Känguruhen stimuliert Frühchen
Zwei Wochen später: 3. Dezember, 13 Uhr, Neonatologie Abteilung IMC. Fast sechs Wochen sind nach dem Kaiserschnitt vergangen. Luana sieht nun rosig aus, die Bäckchen sind voller geworden. Doch noch immer ist ihre Haut faltig, so, als trüge sie einen viel zu grossen Pyjama. 37 Tage nach ihrer Geburt ist sie 1330 Gramm schwer. Seit fast zwei Tagen atmet sie selbstständig, ohne unterstützende Atemmaske.
Die Mutter strahlt. Stolz. Sie hat zudem gute Nachrichten: Die Ärzte sind mit der Klinik in Lübeck im Gespräch, Luana soll schon bald in ihre Heimatstadt überführt werden. Zwar wird das Baby auch in der Lübecker Klinik auf der Neonatologie bleiben müssen. Wahrscheinlich bis zum errechneten Geburtstermin, dem 30. Januar. Ishema Ewanga-Nde freut sich trotzdem. Denn dann ist sie wieder zu Hause, bei ihrem Sohn, ihrer Familie. Der ganz normale Alltag rückt näher.
Sie holt sich draussen auf dem Gang eine Liege, rückt diese neben Luanas Isolette, bis es passt und macht sich bereit fürs Känguruhen. Die Känguruh-Methode, ursprünglich aus Kolumbien, wurde Anfang der 1990er-Jahre auf der Neonatologie des Inselspitals eingeführt. «Sobald es der Zustand der Kinder erlaubt, ermuntern wir die Eltern, mit dem Känguruhen zu beginnen. Idealerweise innerhalb von 24 Stunden», sagt Therese Bärfuss, Co-Leiterin der IMC-Station. Die Babys werden auf die nackte Brust ihrer Eltern gelegt und könnten sie so spüren, fühlen, riechen und hören, alle Sinneswahrnehmungen der Kinder würden stimuliert.
«Für eine positive Entwicklung ist das sehr wichtig. Zugleich wird ein schöner Ausgleich zur technischen Reizüberflutung des mühevollen Alltags geschaffen», so Bärfuss. Doch auch für die Eltern sei Känguruhen wichtig und tröstlich. Denn das Kind, sonst in der Isolette isoliert, sei spürbar und ganz nah. Das Abstrakte wird real.