Trennung als Stigma?
Nina Szyika hält lange an ihrem Familienbild fest. Trennung, Scheidung, das begreift sie als Scheitern. «Ich hatte es unterschätzt, wie sehr ein Kind das Leben auf den Kopf stellt», sagt sie. Als Mia-Lou auf der Welt ist, wird ihr bewusst, dass sie nun eine andere, grössere Verantwortung trägt. Doch da sind auch Ängste, Sorgen, Selbstzweifel. Sie ist die Erste, die in ihrem Freundeskreis Mutter wird. Ab und zu wünscht sie sich ihr altes Leben zurück. «Alle waren begeistert von Mia-Lou, ich hätte mich nicht getraut zu sagen, dass ich das Muttersein nicht immer so spassig finde.»
Sie hat hohe Ansprüche an sich selbst: Alle Breili selber kochen, das Kind immer hübsch anziehen, ein entspanntes Mami sein, die Schwangerschaftskilos rasch verlieren, sechs Monate stillen. «Die Realität war dann die, dass ich die Breili mit schlechtem Gewissen gekauft habe, nachdem ich keinen Platz mehr hatte in der Küche zum Kochen, weil alles überstellt war. Entspannt war ich viel seltener, als ich mir vorgenommen hatte. Nach drei Monaten habe ich abgestillt, weil mich meine Muttermilch tropfenden XL-Brüste und das ewige Abpumpen genervt haben», erzählt Nina Szyika.
Es gibt nicht so etwas wie einen Auslöser für ihre Trennung. «Wir dachten einfach diametral anders», erklärt Rob den Otter. Er ist es, der die Familie verlässt. Heute formuliert er das bewusst so, dennoch spricht er nicht von Schuld. «Es ist kein Scheitern», findet er. «Trennung wird gesellschaftlich noch immer zu sehr als Stigma betrachtet.» Auch seine frühere Frau sagt: «Es war mutig von ihm. So mutig wäre ich nie gewesen.»
Zeit der Kränkung und Verzweiflung
Welche Folgen die Elterntrennung haben wird, bemerken sie, nachdem Fakten geschaffen sind. Es beginnt eine Zeit der Kränkung und Verzweiflung. Heute blicken die Eltern reflektiert zurück, doch damals verstehen sie sich nicht. Tiefe Ohnmacht prägt ihr Leben und Handeln. Mia-Lou ist zu diesem Zeitpunkt noch nicht ganz ein Jahr alt. «Ich kenne es nicht anders», sagt sie, als sie von der Schule nach Hause kommt und sich zu ihren Eltern dazusetzt. Sie beisst erst mal in ein Stück Wassermelone. Dann sagt sie, dass es nicht ihr liebstes Gesprächsthema sei.
Nina Szyika und Rob den Otter versuchen vieles, auch eine Paartherapie. Doch dadurch sei nur noch deutlicher geworden, dass es eben nicht gehe, meint Rob den Otter. Er denkt nicht gerne zurück an die Zeit, in der er in Baar mit wenig verbliebenem Geld eine Bleibe suchen muss und froh ist, dass er dort seine Mutter hat, die hilft. Seine Mutter schlichtet zwischen den beiden, auch Nina Szyika ist ihr dankbar.
Narben sind bei ihnen allen geblieben. Rob den Otter scheint manches regelrecht zu verdrängen. «An manches kann ich mich nicht erinnern, und an manches will ich mich auch nicht erinnern», sagt er. In jener Zeit gibt es Situationen, in denen die Nachbarin ihm das Kind übergibt, weil seine Noch-Frau ein Zusammentreffen nicht erträgt. Es gibt furchtbar wütende Telefonate oder Whatsapp-Kommunikation, in die sich die beiden stunden- und tagelang hineinsteigern. Die Kommunikation ist geprägt von Vorwürfen und Missverständnissen. «Das hat viel Zeit und Energie gekostet», sagt Nina Szyika.
Freiräume beim Vater
Da sind diese Freitagabende, an denen Rob den Otter unbedingt noch mit Mia-Lou zum Hockey will. Nina Szyika hält das nicht für einen gelungenen Wochenabschluss für ein kleines Kind, «aber Rob hat dann immer auf das Scheidungsurteil hingewiesen und so blieb mir kein grosser Spielraum mehr». Einerseits schade, andererseits habe sie das oft vor noch längeren verfehlten «Whatsapp-Geschichten» gerettet. Wenigstens streiten sie fast nie vor Mia-Lou, das hatten sie sich so vorgenommen.
Für eine lange Zeit nach der Trennung hoffen Nina Szyika und Rob den Otter, die Dinge würden sich lösen. Doch sie geraten immer mehr in eine Sackgasse. Zwar streiten sie nicht wie andere hoch strittig getrennte Eltern über die vereinbarten Betreuungszeiten, doch sie ärgern sich immer wieder über Geschehnisse im anderen Haushalt. Nina Szyika kommt nicht damit zurecht, wie viele Freiräume ihrer Tochter beim Vater geschenkt werden und wünscht sich von ihm mehr verantwortungsvolles Erziehen. Freiräume geben empfindet Rob den Otter aber als gut und richtig für das Kind. Er schlägt eine Mediation bei der Stadt Luzern vor.