«Im Iran wurde ich mit neun Jahren verheiratet. Da ich mich immer mit Händen und Füssen weigerte, mit meinem damaligen Mann zu schlafen, gab es andauernd Streit mit meinem Vater und meinem Onkel. Die Männer aus meiner Familie schlugen sogar meine Mutter wegen mir. Mit 18 Jahren wurde ich geschieden.
Später lernte ich in Teheran meinen afghanischen Ex-Mann kennen, mit dem ich drei Kinder habe. Vor fünf Jahren flüchteten wir in die Schweiz. Wir hatten schon im Iran Eheprobleme und stritten uns viel, vor zwei Jahren trennte ich mich auch von ihm.
Nun bin ich allein mit drei Kindern. Meine älteste Tochter macht eine Lehre als Pharmaassistentin und lebt nicht mehr zu Hause. Finanziell ist das Leben hart – aber ich habe hier meine Freiheit und Sicherheit als Frau und Mutter. Ich bin so froh, weg zu sein von einem Land, in dem Frauen- und Mädchenrechte mit Füssen getreten werden.
Materiell hier ärmer
Ich arbeite 60 Prozent in einem Restaurant in der Küche als Spülerin. Dort spüle ich Geschirr, putze und räume auf. Eigentlich würde meine Schicht von 8 bis 12 Uhr dauern, danach hätte ich vier Stunden Zimmerstunde, um wieder von 16 bis 20 Uhr zu arbeiten. Aber es gibt so viel zu tun, dass ich in meiner Pause oft durcharbeite. Unbezahlt. Auf 100 Prozent verdiene ich brutto 3500 Franken, auf meine 60 Prozent erhalte ich 2100 Franken. Davon muss ich rund 780 Franken dem Sozialamt abgeben, weil die Gemeinde mir die Miete und die Krankenkasse bezahlt.
Uns bleiben 1320 Franken für alle restlichen Ausgaben wie Essen, Kleider, Hygieneartikel, Verkehr, Strom, Internet, Telefon, Schulgeld usw. Mein Ex-Mann bezahlt nichts. Materiell fühle ich mich hier ärmer als im Iran, weil ich trotz 12-Stunden-Arbeitstagen kein bisschen sparen kann.
Vom Restaurant nehme ich manchmal Brot und Essensreste mit, und abends auf dem Nachhauseweg schaue ich bei Lidl und Aldi vorbei, ob es Aktionen gibt.
Lehre machen
Ich habe kein eigenes Bett, ich schlafe auf dem Sofa oder auf dem Teppich. Das Sofa stand mit einem «Gratis»-Zettel am Strassenrand, mein Ex-Mann und ich trugen es hoch in die Wohnung. Kleinere Möbel finde ich oft gratis auf Trottoirs oder günstig vom Brockenhaus. Bei Caritas kann ich billig Kleider kaufen. Mein Sohn ist übrigens extrem geschickt darin, Preise zu vergleichen – er kommt manchmal nach Hause und erzählt, wo er herabgesetzte Lebensmittel gesehen hat. Manchmal bedrückt es mich, dass ich finanziell keinen hellen Streifen am Horizont sehe. Ab und zu mag ich morgens fast nicht aufstehen, weil ich deprimiert bin und ein schlechtes Gewissen gegenüber meinen Kindern habe. Ich habe sie auf die Welt gebracht – es ist meine Aufgabe, ihnen zu helfen, auf eigenen Füssen zu stehen. Sie sollen lernen können, dafür braucht es Geld.
Wenn ich ein bisschen besser Deutsch kann, würde ich gerne eine Lehre als Verkäuferin machen, um mehr zu verdienen.»