Die Bürde tragen
Und schiebt jetzt mit Saliha den Einkaufswagen konzentriert den Regalen im Aldi entlang. Die beiden vergleichen die Preise, erörtern, was fehlt. Fatima fischt nach tiefgefrorenem Gemüse aus der Truhe: günstig soll es sein – aber auch gesund. Das Eis legt Saliha auf Geheiss der Mutter grummelnd wieder zurück. Reis, Poulet, Öl, Apfelessig, Bananen – für den gut gefüllten Einkaufswagen bezahlt Fatima 41.69 Franken.
Die schweren Papier- und Plastiktaschen will sie selber schleppen – Hilfe lehnt Fatima energisch ab. Keiner soll denken, sie hätte nicht die Kraft, die Bürde zu tragen.
Sie müsse sich schonen, warnte die Ärztin beim letzten Ultraschall. Wegen des Kindes im Bauch. Fatima ist zum sechsten Mal schwanger, in der 32. Woche, trotz einer vor eineinhalb Jahren in Tschechien durchgeführten Unterbindung. Nein, kein vorgeschobener Grund, um sich mit einer weiteren Schwangerschaft das Bleiberecht zu erwirken. Sondern eine seltene, aber ärztlich bestätigte «Gravidität trotz Sterilisation».
«Ich will das Kind nicht», sagte Fatima zu Saleh, als man die Schwangerschaft feststellte. «Du musst es nicht austragen», sagte er zu ihr. «Allah wird verstehen, dass wir jetzt nicht noch ein Kind gebrauchen können.» Für eine Abtreibung aber war es zu spät.
Ob sich Saliha auf das Brüderchen freut? Das Mädchen zuckt die Schultern, blickt schwermütig, mit Augen schwarz wie Murmeln. Nein, darüber will sie nicht sprechen. Über die Schule hingegen schon. Saliha richtet sich auf im Sofa, reckt das Kinn und beginnt mit einem Anflug von Stolz die Namen ihrer Freundinnen aufzuzählen: Erika, Stefanie, Christina – und viele mehr. Saliha mag die Lehrerin, Mathe, Lesen, Deutsch für Fremdsprachige. Ein neugieriges und wissensdurstiges Kind. Und in der Schule kann Saliha die Kopf- und Bauchschmerzen für ein paar Stunden vergessen. Diese Quälgeister im Körper, die sie sonst Tag und Nacht plagen. «Schwere und mehrfache posttraumatische Belastungsstörung», heisst es dazu in den Akten.