Immerhin wagten Tea und ich, nur 21 Tage nach der Geburt ein erstes Konzert zu planen, versuchten, unser altes Leben dem völlig neuen aufzudrücken. Wie wir es damals mitsamt Luule und Grossmutter ins 19.05-Uhr-Tram schafften, weiss ich nicht mehr. Es gab wieder Tränen. Kurz vor 19.30 Uhr waren wir im Foyer. Aber was, wenn Luule nun zu schreien begonnen hätte? Hätte dann das Mami die Kleine mit ihrer Grossmutter und einem Fläschchen abgepumpter Milch, das unsere Tochter bis dahin immer abgelehnt hatte, alleine stehen lassen? Luule blieb still, Tea kam mit mir in den Saal, Beethovens 4. Klavierkonzert war grossartig, obwohl es gefühlt fünfmal so lang wie sonst dauerte. Noch ehe der Pianist die Zugabe anstimmen konnte, war Tea schon wieder bei Luule, alsbald im Tram und schliesslich zu Hause. Nach der Pause sass die Grossmutter auf ihrem Sitz.
Erste Reise mit 60 Tagen
Dann rückte die Scala-Saisoneröffnung näher. Oder soll ich zugeben, dass diese Reise nach 60 Tagen, die wir mit dem Bewundern unserer Tochter verbracht hatten, gerade recht kam? Und wer es geschafft hat, ein Passfoto eines einmonatigen Babys einzureichen, kann locker mit dem Zug nach Mailand fahren.
Die Nacht davor war nur bis 4 Uhr gut gewesen. Was solls, dachte ich: Als Student hatte ich für die Saisoneröffnung beim Warten auf die Stehplatzkarten auch schon mal zwei Nächte ohne ein richtiges Bett verbracht.
Ob ich zum Galadinner in den Palazzo kommen würde, hatte die Pressefrau zwei Tage vor der Premiere gefragt. «Klar, wie immer!», schrieb ich und löschte die Worte gleich wieder: Galadinner um 22 Uhr, um 1 Uhr angeheitert heimkommen, um 3.30 Uhr Windeln wechseln, um 7 Uhr Luule (unter) halten, um 9 Uhr beginnen, 7000 Zeichen zu schreiben? Alle Espressi Mailands zusammen würden nichts helfen.
Kaum war der Vorhang gefallen, hatte ich schon den Mantel an, kaufte alsbald im Laden ums Eck unseres Airbnb ein Pack Ravioli, 150 Gramm Culatello sowie eine Flasche Barbaresco, und schon sassen Luule, Tea und ich am Tischchen in der kleinen Küche. Es war das schönste Galadinner aller Zeiten. Die Kritik war um 18 Uhr online.