Starke Ängste und Traurigkeit
Vor vier Jahren, als Dana nach Ringlikon kam, wäre es undenkbar gewesen, dass sie einen Hund über Minuten hätte führen können. Es ging ihr damals schlecht. Schon als Zweitklässlerin entwickelte sie Ängste, zum Beispiel vor dem Ausgelachtwerden. Oder sie fühlte sich so traurig, dass sie nicht mehr leben wollte. Dann wieder brauste sie unkontrolliert auf, um sich gleich darauf zu verkriechen. In der Schule galt sie bald als «nicht mehr tragbar». Diagnose: starkes ADHS. Danas alleinerziehender Mutter fehlte die Kraft, neben der Arbeit auch noch für ihre drei Buben und das belastete Mädchen zu sorgen. Aber auch im Schulinternat Ringlikon stiessen die Betreuer trotz geballtem pädagogischem Wissen zunächst an ihre Grenzen.
Und mit einem Hund musste man Dana damals schon gar nicht kommen. Vor Kötern hatte sie panische Angst.
Das Schulheim Ringlikon kauert hinter dem Zürcher Uetliberg am Waldrand, der Blick fällt ins Reppischtal. Deckung im Rücken und eine Perspektive vor Augen – das ist es, was die 38 Kinder brauchen. Wer hier wohnt und zur Schule geht, ist zwischen 4 und 14 Jahre alt und amtlich dokumentiert als «Kind mit Lern- und Verhaltensschwierigkeiten».
Frühkindliches Trauma
Was das bedeutet, erklärt der Institutionsleiter Patrick Isler-Wirth jetzt in einem der Sitzungszimmer: «Die meisten der Mädchen und Jungen bei uns erlebten frühkindliche Traumatisierungen. Viele leiden unter Bindungsstörungen und waren nirgends mehr tragbar.» Weder in der Familie noch in der Schule. Nicht einmal Pflegefamilien kommen für die kleinen Systemsprenger infrage.
Nicht wenige der Kinder mit Asperger Syndrom oder stark ausgeprägtem ADHS stammen zwar durchaus aus intakten Elternhäusern. Ungefähr zwei Drittel aber erlebten von klein auf seelische und körperliche Misshandlungen. Mit Eltern, die schlagen, drogen- oder alkoholsüchtig sind, das Kind sexuell missbrauchten oder im Gefängnis sitzen.
Die Kinder schleppen einen Rucksack voller Enttäuschungen, Ohnmacht und Wut mit sich herum. Manchmal gebärden sie sich gar zu zornig für das Schulinternat. Wie jener Achtjährige, der sein Zimmer demolierte, die Lichtschalter herausriss, die Möbel zerlegte. Fünf Polizisten und zwei Rettungssanitäter holten den Kleinen ab und überwiesen ihn in die Kinderpsychiatrie. Einen Isolierraum – Gummizelle im Volksmund – gibt es in Ringlikon nicht.
Hundetherapie für kleine Systemsprenger
Damit solche Szenen möglichst selten vorkommen, will Patrick Isler-Wirth alle Optionen pädagogischer und entwicklungspsychologischer Erkenntnisse ausschöpfen und nicht stur nur einer Theorie verhaftet sein. Zu seinem Team gehören Heil- und Sozialpädagogen, Psychologinnen und Psychiater, die Kinder besuchen die Logopädie, Ergotherapie, Psychomotorik und Reit- oder Figurenspieltherapie. Oder eben: die Hundetherapie.
Was Politiker vom rechten Rand «Kuschelpädagogik» nennen, ist der Versuch, Kinder mit schwierigsten Startbedingungen oder hirnorganischen Beeinträchtigungen aufzufangen. Sie an die Hand zu nehmen und sie darauf vorzubereiten, gesellschaftlich dazuzugehören. Die Kinder können nichts dafür, dass sie in ein zerrupftes oder liebloses Nest geboren wurden oder die Botenstoffe in ihrem Gehirn ausser Rand und Band geraten.