Silvia Wiesner* dachte mit Anfang 20: jetzt oder vielleicht nie. Sie war zwar blutjung. Aber sie kannte die Statistiken, die Ärzte und Experten vorbeteten wie ein Mantra: Die Wahrscheinlichkeit, innerhalb eines Monats schwanger zu werden, liegt mit 20 Jahren bei 20 Prozent. Mit 35 Jahren ist man nur noch halb so fruchtbar. Mit 40 Jahren halbiert sich die Chance noch einmal. Sätze, scharf wie eine Guillotine. Silvia Wiesner fühlte sich, als habe sie eine «Knarre am Kopf». Ihr Architekturstudium, ihre Lust aufs Reisen, ihre Pläne, im Ausland zu arbeiten – all das verblasste, wurde von Kinderwunsch und Babypanik überdeckt. Mit 22 Jahren wurde sie Mutter eines Sohnes, zwei Jahre später kam ihre Tochter zur Welt. Sie schüttelt den Kopf, als könne sie noch immer nicht begreifen, warum sie sich so hat unter Druck setzen lassen. «Ich fühlte mich überhaupt nicht reif genug», sagt sie 25 Jahre später, «diese ganze Panikmache hat mich einfach eingeschüchtert – und zur Krönung redete mir meine Mutter auch noch ins Gewissen.»
Erstgebärende sind älter
Es gibt Zahlen, die verfestigen sich zu sogenannten Wahrheiten, die wiederum dauerhaft nachhallen. In den Ohren von ganzen Menschengenerationen. Weil sie in den Medien häufig zitiert werden. Und alle irgendwie etwas angehen. Die Fruchtbarkeitsstatistiken gehören dazu. Sie lassen das Ticken der biologischen Uhr bei manch einer Frau mit Kinderwunsch zu einem Domgeläut anschwellen. Immer und immer wieder werden diese Zahlen zitiert. Sie haben viele Frauen verunsichert, ihre Überlegungen zu Karriere, Partnerschaft und Kindern wenn nicht geprägt, dann doch beeinflusst. Silvia Wiesner ist ein Beispiel dafür, wie gross die Babypanik schon in jungen Jahren sein kann – und wie sie geschürt wird.
Und im Schüren ist unsere Gesellschaft gut. Ein paar Beispiele gefällig? In Grossbritannien finanzierte der Schwangerschaftstest- Hersteller «First Response» jüngst eine Kampagne, in der die 46-jährige TV-Moderatorin Kate Garraway als hochschwangere 70-Jährige mit grauem Haar und faltiger Haut abgebildet wurde: eine schockierende Warnung für Frauen. Die Moderatorin wollte damit ein Zeichen setzen, weil sie glaubt, Frauen seien bei der Partnersuche zu wählerisch und würden unter anderem dadurch den richtigen Zeitpunkt verpassen. Aber wem nützt diese Babypanik? Den Frauen, die einen Kinderwunsch hegen, aber keinen geeigneten Partner haben? Den Frauen, die gerne Karriere machen würden und noch gar nicht wissen, ob sie überhaupt Mutter werden wollen? Panik nützt niemandem was, sie bringt Frauen höchstens dazu, sich in eine Ecke drängen zu lassen, in die sie vielleicht gar nicht gehören.
Dabei verkennen viele Panikmacher, was längst Tatsache ist: Frauen werden nun einmal immer älter, wenn sie Kinder bekommen: 1975 noch lag das Durchschnittsalter der Erstgebärenden in der Schweiz bei 27 Jahren, heute ist die Frau im Schnitt 31,5 Jahre alt, wenn sie das erste Mal Mutter wird. Der Grund: Junge Frauen in den 20-igern bekommen immer weniger Kinder, dafür nimmt die Zahl der Erstgebärenden mit 40 plus zu.
Die Kurve steigt unaufhaltsam an – was schürt also die Angst? Vorab die Fruchtbarkeitsstatistiken: Sie besagen, dass eine von drei 35- bis 40-Jährigen auch binnen Jahresfrist nicht schwanger wird. Erstmalig wurde diese Zahl vor neun Jahren im Wissenschaftsjournal «Human Reproduction» veröffentlicht. Doch laut neuesten Erkenntnissen werden genau diese Statistiken vollkommen falsch zitiert! Denn sie basieren auf veralteten Daten: nämlich auf französischen Geburtseinträgen zwischen 1670 und 1830 – einer Zeit also, in der es weder Elektrizität, Antibiotika, geschweige denn eine Kinderwunschmedizin gab.