Nun beziehen aber vor allem jüngere Kinder vieles auf sich.
Richtig, dies betrifft vor allem Kinder im frühen Primarschulalter, die sich noch in der sogenannten egozentrischen Phase befinden. Fallen während eines Streits zwischen den Eltern die Namen der Kinder oder geht es um Erziehungsthemen, ist es deshalb wichtig, dass Eltern gegenüber dem Nachwuchs klar sagen: «Du bist nicht schuld. Wir streiten nicht wegen dir. Mama und Papa sind sich gerade nicht einig, suchen aber einen Weg.» Allerdings können uns Konflikte weniger feinfühlig machen für das Sicherheitsbedürfnis unserer Kinder.
Was sollten Eltern konkret tun, damit ihre Auseinandersetzungen Kinder nicht zu sehr belasten?
Sich im Vorfeld darauf einigen, dass Erziehungsthemen – wie etwa «Wann bringen wir das Kind ins Bett?», «Wie halten wir es mit dem Medienkonsum?» – nicht vor dem Nachwuchs diskutiert werden. Vielleicht ein Time-outZeichen ausmachen, das im Streitfall gezeigt werden kann, um zu signalisieren: «Das besprechen wir später, wenn wir alleine sind.» Ist man sich zudem bewusst, bei welchen Themen es immer kracht, sollte man diese von zu Hause auslagern. Und diese zum Beispiel lieber auf einem Spaziergang besprechen. Dieses Setting ist auch weniger konfrontativ, weil man sich nicht Auge in Auge begegnet, sondern nebeneinander herläuft. Sich in einem Café treffen ist ebenfalls eine gute Idee – aufgrund der sozialen Kontrolle wird man hier meist auch nicht so laut. Oder zum Telefonieren verabreden.
Und wenn der Streit passiert ist und man sich mitten in einer hitzigen Auseinandersetzung vor den Kindern befindet?
Kleine Kinder weinen schnell, wenn es laut wird. Dann ist es wichtig, ihnen zu helfen, mit ihren Gefühlen umzugehen. Etwa, indem man Beispiele aus ihrer Lebenswelt hinzuzieht, um ihnen die Situation zu erklären («Mama und mir geht es jetzt so, wie dir und deiner Freundin Maja neulich, als ihr gestritten habt. Aber danach verstehen wir uns wieder»). Ich hatte auch mal eine Familie in der Beratung, in der ein älteres Kind immer ein Zeichen gemacht hat, wenn ihm der Streit zwischen den Eltern zu viel wurde. Das Gefühl zu haben, mitbestimmen zu können, kann Kindern helfen. Niemand mag Situationen, denen er ausgeliefert ist. Generell ist es bei hitzigen Konflikten immer gut, rechtzeitig auszusteigen und die strittigen Punkte zu einem späteren Zeitpunkt zu klären. Auch wenn das gar nicht so leicht ist. Doch heikle Themen lassen sich besser besprechen, wenn die Emotionen nicht überkochen.
Welche negativen Folgen hat es für Kinder, wenn Eltern ständig streiten?
Herrscht zu Hause Dauergewitterstimmung, haben Kinder permanent Stress, weil sie jederzeit damit rechnen, dass es wieder losgeht. Sie überlegen dann ständig: «Wie kann ich eingreifen, damit es nicht eskaliert?» Oder: «Wie und wo kann ich mich verstecken?» Was zur Folge hat, dass sie mit ihrer Aufmerksamkeit nicht beim Spielen sind oder bei den Hausaufgaben. Manche sind dann auch in der Schule ganz hippelig vor Stress und wirken, als hätten sie ADHS. Andere ziehen sich in Traumwelten zurück oder haben das Gefühl, sie müssen sich auf die Seite eines Elternteils schlagen. Jugendliche wiederum schauen oft, dass sie möglichst wenig zu Hause sind. Kurz: Wird eine ständige Gewitterlage zwischen Eltern zum Dauerzustand, ist das für die Entwicklung des Nachwuchses sehr ungünstig. Und ähnlich belastend wie im Berufsleben, wenn man nie weiss, wann der cholerische Chef wieder lospoltert.
Welche Fehler sollten Eltern beim Streiten in Anwesenheit der Kinder unbedingt vermeiden?
Zwischen Tür und Angel streiten ist nie eine gute Idee. Kinder sollten auch nicht in irgendeiner Form in den Konflikt miteinbezogen werden oder gar die Schuld zugeschoben bekommen («Wenn du nicht so hibbelig wärst / nicht so viel am Handy hängen würdest, müssten wir uns nicht streiten»). Ausserdem sollten Eltern nichts versprechen, was sie nicht halten können, sonst nimmt der Nachwuchs sie nicht mehr ernst. Und sie sollten sich auch nicht absichtlich verletzen mit Sticheleien und Beleidigungen, weil Kinder sonst lernen, «so zu streiten, ist legitim».