Wir entschieden uns gemeinsam gegen weitere Untersuchungen. Aber das totale Glücksgefühl vom Anfang stellte sich nicht mehr ein. Die Angst war latent spürbar. Unsere Tochter kam gesund zur Welt.
Testergebnisse verunsichern Schwangere
Wir sind keine Ausnahme, erfahre ich von Franziska Wirz, Stellenleiterin der Telefon- und Online-Beratung appella. Seit 25 Jahren bietet appella unabhängige und unentgeltliche Beratung unter anderem zu Pränatal-Diagnostik und Geburt an. «Bei uns melden sich viele schwangere Frauen, die völlig verunsichert und mit Testergebnissen überfordert sind», so Franziska Wirz.
Ärzte verpassen öfter notwendige Vorinformationen und Aufklärungen, sagt die Fachfrau. Wozu sie eigentlich gesetzlich verpflichtet wären. So heisst es auf der Homepage des Bundesamts für Gesundheit BAG: «Vor allfälligen pränatalen Untersuchungen haben die behandelnden Ärztinnen und Ärzte die Pflicht, die schwangere Frau zu beraten. (…) Nach einer Bedenkzeit muss die schwangere Frau zu jedem Abklärungsschritt ihr Einverständnis geben.»
Zu 99,59 Prozent gesund
Dass dieses Gespräch bei uns erst nach den ersten Untersuchungen stattgefunden hatte, findet Franziska Wirz genauso problematisch wie, dass die Resultate der Ersttrimester-Tests generell in einem Verhältniswert kommuniziert würden. «Es wäre anschaulicher und verständlicher, wenn der Wert als Prozentzahl mitgeteilt würde.» Sie rechnet vor, dass das Risiko in unserem Fall (1:240) umgerechnet bedeutet hätte, dass unser Baby zu jenem Zeitpunkt zu 99,59 Prozent gesund gewesen ist. Ich bin baff. Für uns wäre dieses Ergebnis eine gute Nachricht gewesen. Wir hätten uns einfach weiter gefreut.
4 von 5 Frauen sind risikoschwanger
Etwa 80 Prozent der schwangeren Frauen würden heute in der Schweiz als Risikoschwangere eingestuft. «Nur schon die Formulierung ‹Risiko› verursacht Stress bei vielen Paaren», so Wirz. Statt der von der Krankenkasse bezahlten sieben routinemässigen Kontrollen und der zwei Ultraschalle ist die Agenda voll mit Arztterminen. Ultraschall wird bei fast jedem Termin gemacht, gerechtfertigt mit der Risiko-Einstufung, bezahlt von den Krankenkassen. Untersuchungen wie etwa der neue, nicht invasive genetische Bluttest Nipt, der allfällige Chromosomen- Störungen nachweisen soll, werden als Routinemassnahme verstanden.
Recht auf Nichtwissen
Der Druck auf die Frauen, um jeden Preis ein gesundes beziehungsweise ein nicht behindertes Kind zur Welt zu bringen, sei heute grösser denn je. «Die Situation hat sich zugespitzt, denn bei der Frage, ob die Nipt-Bluttests kassenpflichtig werden sollen, wurde eine einschneidende und folgenschwere Entscheidung getroffen, mit weitreichenden Folgen für die schwangere Frau», schreibt appella in ihrer Infobroschüre «Schwangerschaftsvorsorge – wie gehen wir damit um?».
Der Beschluss lautete, dass die Grundversicherung die Kosten für den Test bezahlt, wenn zuvor der Ersttrimester-Test ein erhöhtes Risiko von 1:1000 ergeben hat. «Ein Promille soll ein erhöhtes Risiko bedeuten? Das heisst, das Kind ist zu 99,9 Prozent gesund. Welch abwegige Entscheidung», ärgert sich Franziska Wirz. Vor diesem Beschluss wurde noch bei 1:300 vom «grünen Bereich» gesprochen.