Weihnachtszeit ist die Zeit der Lieder
Wann, wenn nicht jetzt, im Dezember. Selbst die grämlichsten Menschen, die Chöre doof, Karaoke peinlich und Koloratur-Sopran für eine Wandfarbe halten – jetzt singen sie. Mögen sie auch den Rest des Jahres sogar unter der Dusche nur stumm an sich herumschrubben: Für kurze Zeit sind nun alle mit an Bord. Die Weihnachtszeit ist die Zeit der Lieder. Superspreading hin, Aerosole her, jetzt wird gesungen. Gemeinsam mit der Familie unterm Baum, leise für sich allein beim Guetzli-Backen oder die Kinder – mit schützendem Abstand, aber so denn doch gemeinsam – in der Schule.
Nur – warum muss es darüber Winter werden? Warum singen wir nicht eigentlich viel häufiger wie noch die Generation unserer Eltern und Grosseltern? Bei denen, so Studien, konnten noch 27 von 30 Kindern einer Klasse eine einfache Melodie nachsingen, heute schaffen das noch 3 von 30. Fehlende Übung darf man vermuten. Okay, dann singen sie halt schräg, ist doch nicht schlimm, könnte man sagen. Und: Das macht doch nichts, dass nur noch 15 bis 20 Prozent der Kindergarten-Erzieherinnen regelmässig zum Singen anleiten, könnte man sagen. Könnte man. Allerdings nur als Laie.
Denn Hals-Nasen-Ohren-Ärzte sehen das anders. Schon 2002 berichtete die «Frankfurter Allgemeine Zeitung» von den Klageliedern, die Mediziner auf einem Kongress anstimmten: über zunehmend «verhauchte» Kinderstimmen und verkürzte Stimmbänder. Der Grund: fehlendes Training der Stimme.
Tja. Lieder anzustimmen, statt sie nur anzuhören, würde helfen.
Warum also nur ist Singen – in nüchternem Zustand und ausserhalb des Autos – irgendwie unangenehm geworden? Druckst herum, wer aufgefordert wird, vorzusingen, brummelt möglichst leise, wer mit einstimmen soll? Und reicht der Mut doch mal, dann nur beim Refrain, abgetaucht in der Klangwelle der grossen Gruppe oder zugedeckt vom Soundteppich einer Orgel. Dumm und schade ist das. Ist doch Singen, man kann es nicht anders sagen, so eine Art per Stimmband bedienbare Superkraft. Und das nicht nur zur Weihnachtszeit. Denn: