Daher wohl auch die Vehemenz, mit der sie für sich selber eine späte Mutterschaft ausschliesst. «Ich würde es einem Kind nicht antun wollen, mich früh zu verlieren.» Ihre beiden Buben, 2- und 5-jährig, müssen zwar nun ohne ihr Grosi aufwachsen, die Kraft und Lebenslust ihrer Mama aber soll ganz ihnen gehören.
Väter als Risikoerzeuger
Was Miriam vor 30 Jahren erlebt hat, erfahren heute stetig mehr Kinder: Das Aufwachsen mit reifen Eltern. Die Gründe für eine späte Elternschaft sind vielfältig: Karrierepaare, die das Kinderhaben hinausschieben; Väter, die eine Zweitfamilie gründen; Nachzügler, die unverhofft hereinschneien.
Eine Definition aber, ab wann Eltern zu «späten Eltern» werden, gibt es nicht. In der Schweiz erhält bereits eine 35-Jährige, die das erste Mal schwanger ist, den Stempel «Risikoschwangere». Obwohl dieses Alterslimit willkürlich gesetzt ist und medizinisch keineswegs zu einem sprunghaften Anstieg von Komplikationen während der Schwangerschaft oder zu einer Behinderung des Kindes führt.
Der «späte Vater» wiederum ist erst in den letzten Jahren als «Risikoerzeuger» in den medialen Fokus geraten. Etwas alarmistisch heisst es nun: Je älter der Vater, desto grösser die Wahrscheinlichkeit, dass er seinem Kind defektes Genmaterial mitgibt. Mediziner warnen vor allem vor Autismus, Schizophrenie und Angsterkrankungen. Doch Prozentzahlen muten oft dramatischer an als absolute Zahlen: Wenn 1 von 1000 Kindern eine Behinderung hat, und sich diese Zahl um 100 Prozent erhöht, sind es dennoch nur 2 von 1000.
Für Sozialwissenschaftler wird bei der Diskussion um die Schattenseiten der Spätgeborenen ohnehin zu stark die Genetik bemüht. Auch Pasqualina Perrig-Chiello, Professorin am Institut für Psychologie an der Universität Bern, beobachtet zwar eine leichte Erhöhung psychischer Störungen im Leben später Kinder, aber sie vermutet eher systemisch bedingte Gründe dafür: «Bei Menschen im mittleren Alter kommen Depressionen und stressbedingte Erkrankungen am häufigsten vor. Und natürlich wirkt es sich unmittelbar auf die Kinder aus, wenn späte Eltern nervlich schnell an ihre Grenzen gelangen.»
Eric Breitinger (53) war drei Jahre alt, als er zu seinen Pflege- und späteren Adoptiveltern kam. Die Mutter war damals 48, der Vater 50 Jahre alt. Jetzt sitzt der Journalist – mittlerweile selber Vater von zwei erwachsenen Kindern – an einem Bistrotisch in der Nähe des Zürcher Kunsthauses und schildert, wie er seine Eltern immer als ältere Menschen erlebt habe: den Vater weisshaarig, die Mutter korpulent und bei Weitem nicht so adrett wie die Mütter der Kollegen. «Ich wuchs mit Grosseltern auf», sagt er. Gram ist keiner zu spüren. Das hat wohl auch damit zu tun, dass Eric Breitinger sich in seinem Buch «Späte Kinder» intensiv mit der Thematik auseinandergesetzt hat. Selbst davon betroffen, wollte er bewusst die Kinderperspektive beleuchten, dafür hat er mit Dutzenden von Spätgeborenen gesprochen.
Dem Autor geht es nicht darum, den gesellschaftlichen Trend zu später Elternschaft moralinsauer anzuprangern. Aber er hat sich erlaubt, genauer hinzuschauen. Viele der von ihm aufgezeichneten Lebensgeschichten offenbaren einen Leidensdruck, der gerne tabuisiert wird. Die Medien heben oft die Vorteile später Elternschaft hervor: die gute Ausbildung der Späteltern, ihre finanzielle Unabhängigkeit, ihre Lebenserfahrung. Die Berichte verschweigen, dass viele Spätgeborene in ihrer Kindheit eine Distanz zu Gleichaltrigen erleben oder unter Einsamkeit leiden, weil keine Geschwister und damit keine Bündnisgenossen da waren.
Deutlich mehr Einzelkinder
Im Moment handelt es sich bei später Elternschaft zwar um einen Trend – die Norm aber ist es noch lange nicht. Mitverantwortlich für die Entwicklung hin zu spätem Nachwuchs macht Eric Breitinger auch viele Reproduktionsmediziner. Sie suggerieren insbesondere den Frauen, in Ruhe Ausbildung und Karriere machen zu können, vielleicht mittels «Social Freezing» ein paar Eier tiefzukühlen, um sich ab 40 stressfrei um die Realisierung ihres Kinderwunschs zu kümmern. «Das Rausschieben aber führt dazu, dass sich statistisch die Zahl der Frauen mit nicht erfülltem Kinderwunsch verdoppelt hat», sagt Eric Breitinger. Wollen späte Eltern noch ein zweites Kind – ist es oft zu spät. Das führt dazu, dass Spätgeborene überproportional oft als Einzelkinder aufwachsen.