Ausgerechnet die Erfinder der digitalen Technologien – wie etwa Bill Gates – erziehen ihre eigenen Kinder bildschirmfrei und schicken sie in Waldorfschulen...
Ja, es gibt namhafte Menschen, die die Digitalisierung an vorderster Front mitprägen und ihre Kinder möglichst digitalfrei erziehen. Bill Gates etwa nimmt sich selber laut einer Netflix-Doku pro Jahr mindestens eine Woche digitale Auszeit. Er packt Bücher in sein Köfferchen, fährt irgendwohin und verbringt die Zeit ausschliesslich mit seinen Gedanken und analogem Lesen. Er tut als Vordenker genau das, was es für innovatives Denken braucht: sich nicht die ganze Zeit Reizen auszusetzen. Man kann nur über Probleme nachdenken und Lösungen finden, wenn man den Raum dazu hat.
Dennoch: Wir sind mittlerweile alle zutiefst abhängig von Laptop und Smartphone und wir Eltern sind ja zusätzlich verantwortlich für den Umgang unserer Kids mit der digitalen Welt. Was können wir tun?
Egal, ob mit oder ohne Kinder – es ist immer mühselig, aus einer Abhängigkeit zu finden. Aber es ist auch mühsam, Körper, Schlaf oder Partnerschaft zu pflegen. Eltern sollten bezüglich digitalen Miteinanders Prinzipien vorleben, die dem Gemeinwohl und der Verbundenheit dienen. Genauso wie wir Tisch- und Essregeln haben. Wir müssen Inseln schaffen, um emotionale und soziale Kompetenzen zu fördern.
Können Sie konkreter werden?
Es ist eine gute Idee, auch bezüglich digitalen Konsums räumlich und zeitlich Regeln aufzustellen. Dass man räumlich einen Platz für die Geräte bestimmt und diese nach dem Gebrauch routiniert an einen «Ruheplatz» legt. Man macht etwa ab, wo die Smartphones am Sonntag zwischen 10 und 16 Uhr versorgt werden sollen, weil dann Family-Time ist. Dann lässt aber auch Papa sein Handy am besagten Ort liegen!
Weitere Möglichkeiten?
Wenn man einen Familienausflug macht, nimmt abwechslungsweise nur jemand ein Handy mit, für den Notfall, und um Fotos zu machen. Oder zwischendurch kann man sich als Familie zu Hause eine halbe Stunde Daddel-Zeit vereinbaren, in der jeder auf seinem Handy machen kann, was er will. Oder ein schönes Beispiel, von dem ich gehört habe: Wenn Mama im Homeoffice die Spielzeugkrone aufsetzt, dann ist sie gerade am Telefonieren und das Kind darf in dieser Zeit nicht mit ihr sprechen. Solange man dem Kind kommuniziert, «ich bin nun eine Viertelstunde mit jemandem am Telefonieren», ist das völlig ok.
In vielen Familien wird ein erledigtes Ämtli oder Hausaufgaben mit Bildschirmzeit belohnt. Was halten Sie davon?
Es ist wie bei den Süssigkeiten. Ab und zu ist ok. Nicht aber, wenn jede kleine Aufgabe mit Bildschirmzeit belohnt wird. Das Kind lernt sonst: Die Aufgabe an sich ist sinnbefreit, es geht nur noch um die Belohnung. Besser ist, wenn die Belohnung innerhalb der Aufgabe stattfindet – also eine Zufriedenheit erzeugt, weil man etwas sauber geputzt hat oder die Französisch-Vokabeln beherrscht. Ein Kind muss lernen, dass Aufgaben zur Gemeinschaft und zum Leben dazu gehören.
Und ab wann empfehlen Sie, dem Kind ein eigenes, internetfähiges Handy zu kaufen?
Erst nach der Unterstufe. Die Zeit bis dahin kann man beispielsweise überbrücken, indem man dem Kind ein nicht internetfähiges Mobiltelefon mitgibt. Es braucht natürlich auch mehr digitale Achtsamkeit an Schulen und im Gespräch mit anderen Eltern. Denn ist das Kind das einzige in der Klasse, das kein Smartphone hat, ist es verständlich, dass es sich ausgeschlossen fühlen kann. Aber viel wichtiger als konkrete Bildschirmzeiten finde ich, dass man sich als Familie bewusster mit der digitalen Realität auseinandersetzt. Gemeinsam wieder mehr Zeit und Raum findet, die schönen Seiten des Familienlebens zu geniessen. Viele Kinder und Jugendliche wollen nämlich nach wie vor Dinge unternehmen und sich geborgen fühlen. Und die Eltern können viel dafür tun, den Rahmen dafür zu schaffen.