In verschärfter Form gibt es solch einen «Laufsteg» auch in den sozialen Medien.
Ja, der virtuelle Laufsteg ist heute ein stressiger Bestandteil der Jugend, vor allem Mädchen vergleichen sich hier. Bearbeitete Fotos erschlagen und machen klein – was negative Gefühle und Mutlosigkeit verstärken kann. Für mutlose Mädchen ist die digitale Welt Fluch und Segen zugleich: Segen, weil sich mit Freunden in Kontakt bleiben lässt, die die Mädchen aufgrund ihres Rückzugs analog längst nicht mehr sehen. Aber auch Fluch, weil digitale Welten ein Heraustreten aus dem häuslichen Umfeld weniger notwendig machen.
Was können Eltern von mutlosen Mädchen tun?
Eltern müssen aufhören zu locken («Willst du das nicht mal ausprobieren?»), denn das führt zu noch mehr Rückzug. Es ist eine schwierige Situation, vor allem für Mütter, deren Lebensmodell die Töchter in Frage stellen. Viele Eltern sind sehr tolerant, sagen «Noten sind uns nicht wichtig, das Kind soll sich nur selbst ernähren können». Doch wenn selbst dieses Minimalziel mit dem Schulabsentismus schwindet, bekommen sie es mit der Angst zu tun.
Was heisst das für den Umgang mit mutlosen Mädchen konkret?
Es braucht sehr viel Geduld und oft jahrelange Begleitung. Man muss sich auf die Seite der Mädchen schlagen, versuchen, sie zu verstehen, ihre Sicht der Dinge spiegeln und schauen: Warum ist das so? Meist gilt es, das Selbstwertgefühl der Mädchen zu stärken. Anschliessend folgen viele Mikroschritte: ein Praktikum vielleicht, ein zartes Pflänzchen von Beziehung. Dies alles ist innerhalb einer Familie kaum zu schaffen, hier braucht es Psychotherapie, manchmal auch Schulbegleitung oder den Einzug in eine Wohngruppe. Die Mädchen benötigen Zeit, Entwicklungsschritte in ihrem langsamen Tempo zu gehen. Und für Eltern ist wichtig, sich nicht die Schuld zu geben.
Wie erkennen Eltern, dass es sich nicht um normales pubertäres Verhalten handelt, sondern um ein psychisches Problem, für das es professionelle Hilfe braucht?
Verlassen Sie sich auf Ihr Gefühl. Glauben Sie, etwas ist nicht normal, lassen Sie es abklären. Generell gilt: Zieht sich ein Kind immer mehr zurück, ist es zu fast nichts mehr zu motivieren, sollten Eltern hellhörig werden – und nicht warten, bis es nicht mehr zur Schule geht.
Wie verhindere ich als Mutter, dass meine Tochter mutlos wird?
Es braucht einen ehrlichen MutterTochter-Dialog, ohne zu beschwichtigen, sondern im Sinne von: «Du hast recht, manchmal bin ich sehr erschöpft. Aber das ist es mir wert, weil mir die Arbeit viel Spass macht.» Es geht darum, sich selbst und seine Bedürfnisse nicht zurückzustellen, sondern ein gutes Vorbild zu sein in Selbstfürsorge. Gleichzeitig muss die Tochter wissen, dass es für sie immer einen eigenen Weg gibt. Dazu gehört auch, dass Eltern sich klar sind: Was für ein Kind haben wir vor uns? Aus einem zurückhaltenden Mädchen lässt sich kein aktives machen. Eltern müssen sich dem Tempo des Kindes anpassen.
Sollten sich Mutter und Vater gegenüber dem Nachwuchs mehr zurücknehmen? «Kinder entwickeln sich manchmal besser, wenn Eltern im richtigen Moment wegschauen», schreiben Sie.
Ja, davon bin ich tief überzeugt. Wir kennen dies aus unserer eigenen Entwicklung. Heutigen oft sehr engagierten Eltern fällt dieses Wegschauen schwer. «Wir verstehen uns doch so gut», sagen sie, «du kannst mir alles erzählen.» Umso wichtiger ist es, manchmal loszulassen und zu sagen: «Geh! Du kannst das alleine! Ich traue dir das zu!» Allerdings dürfen Eltern dann nicht jeden Schritt des Kindes auf dem Handy kontrollieren; das wäre nicht authentisch. Gesagtes muss immer mit der Haltung übereinstimmen. Das ist ganz zentral.