Genügend ist gut genug
Auch der Fachmann für Männer- und Geschlechterfragen, Markus Theunert (47), beobachtet, dass Männer als Väter unter Druck geraten. Unter anderem deshalb, weil die Geburt eines Kindes zu einer starken Retraditionalisierung beitrage: «Natürlich finden fast alle das alte Ernährermodell gestrig – trotzdem wird es noch immer gelebt.» Und zwar überdeutlich, sagt der Leiter von Männer.ch, dem Dachverband progressiver Schweizer Männer und Väterorganisationen. So steuert die Frau für das Familieneinkommen nur 27 Prozent bei, 73 Prozent erwirtschaften die Väter. Das erzeugt Spannungen.
Tradition hat auch der Glückseligkeitszwang der Umwelt, die uns Vater- respektive Elternschaft als erstrebenswertes Ziel spiegelt. Ein Heilsversprechen, das in der Werbung meist in einer vor Glück platzenden Familienidylle gipfelt. Doch ein Besuch beim Fachpsychologen für Psychotherapie, Lucien Frisch-Volkert, liefert die Ernüchterung: «Elternschaft gehört zu den kritischen Lebensereignissen – genauso wie ein Jobverlust oder der Tod eines nahen Angehörigen», sagt der Fachmann.
Der 33-Jährige sitzt in seinem Büro bei der Fachstelle für Abhängigkeitserkrankungen in Bülach (fabb), wo er vornehmlich Männer, viele davon Väter, berät. Es ist jene Klientel, die vom Feierabendbier zur täglich geleerten Flasche Wodka, vom Wochenend-Schnupf zum intensiven Kokain-Konsum schlitterten. Ein Kind ist manchmal der Tropfen, der das Fass zum Überlaufen bringt. «Schlafmangel, Stress, die Dynamik, wenn aus zwei, drei werden ist eine äusserst strenge Reorganisationsphase», erklärt Lucien Frisch-Volkert. In seiner Dissertation setzte er sich intensiv mit dem Thema «Väterliche Psychopathologie» auseinander.
Gefühle nicht verdrängen
Wie aber können junge Väter sich selbst davor schützen, zu viel zu trinken, sich in die Arbeit zu verbeissen oder zu resignieren und die Traurigkeit überhandnehmen zu lassen?
Lucien Frisch-Volkert atmet tief durch: «Zunächst muss ein Mann das Marlboro-Männerbild entsorgen.» Denn es beruht auf einer Lüge: Kein Mensch schafft es, allein am Feuer sitzend unter dem Sternenhimmel seine Sorgen verrauchen zu lassen. Und das rund um die Uhr. Auch Männer sind soziale Wesen – facettenreich, berührbar, verletzlich. Die Krux: «Männer haben oft wenig Zugang zu den eigenen Emotionen», sagt Frisch-Volkert.
Das Verleugnen und Verdrängen der Gefühle aber führt in eine Sackgasse, wo scheinbar nur noch Alkohol den Druck zu lindern vermag. Deshalb legt der Psychologe den Ratsuchenden ans Herz, die Ansprüche an sich selbst herunterzuschrauben. Ein genügend guter Papa zu sein, genügt. Einen ausreichend guten Mitarbeiter am Arbeitsplatz abzugeben, ist gut genug. Wer wie Väter (Mütter natürlich auch) mehrgleisig fährt, muss das Tempo drosseln. Sonst entgleist er. «Gerade während der Elternschaft ist Perfektion hinderlich», gibt Lucien Frisch-Volkert zu bedenken.