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«Wann ist viel zu viel?»

Eine gute Mutter bäckt den Kuchen für die Party selbst, die Präsentation für den Chef macht sie mit links, den Kurs in Babymassage schnell über Mittag, damit abends noch Zeit bleibt für den Mann. Gute Mütter funktionieren, bis nichts mehr funktioniert.

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«Wann ist viel zu viel?»

Eine gute Mutter bäckt den Kuchen für die Party selbst, die Präsentation für den Chef macht sie mit links, den Kurs in Babymassage schnell über Mittag, damit abends noch Zeit bleibt für den Mann. Gute Mütter funktionieren, bis nichts mehr funktioniert.

Weisst du, es ist so, als hätte Mama ein Bein gebrochen: Ich gehe zum Arzt, lasse mir einen ‹Gips› machen, muss das Bein ein paar Wochen schonen und dann werde ich wieder laufen können. Nur sieht man meinen Gips nicht, weil ja mein Herz und der Kopf etwas müde sind und Ruhe brauchen, verstehst du?» – «Ich glaube schon. Wann ist dein Herz wieder heil?» – «In ein paar Wochen wird alles vorbei sein, versprochen!» Das war definitiv gelogen. Aber ich konnte meinem achtjährigen Sohn ja schlecht sagen, dass ich selber nicht wusste, ob unser Leben wieder ins Lot kommen würde. Schliesslich hatte ich ja auch nicht damit gerechnet, dass ich je von einem Burn-out betroffen sein würde. Keine Sekunde. Überhaupt zweifelte ich daran, dass es eine Krankheit wie «Burn-out» überhaupt gibt. «Ausgebrannt», das sind wir doch alle mal. Das kann ja nicht so schlimm sein.

**Stress bei Erwerbstätigen in der Schweiz, in Auftrag gegeben vom Staatssekretariat für Wirtschaft (Seco)*

«Frauen achten zu wenig auf ihre Bedürfnisse»

Den Partner möglichst früh in die Arbeit einbinden. Sich immer wieder Ruheinseln schaffen und spüren, wenn einem alles zu viel wird. Dies sind einige Tipps von Psychiaterin und Burn-out-Spezialistin Barbara Hochstrasser.
Interview Veronica Bonilla Gurzeler

Silvia F. (37) arbeitet 60 % und lebt mit Ihrem Mann und zwei Kindern in Zürich. Nach der Diagnose Burn-out mit Erschöpfungsdepression wurde Sie für zwei Monate krankgeschrieben. Ein Jahr nach Ihrem Burn-out ist Sie immer noch in psychiatrischer Behandlung, konnte aber das Antidepressivum absetzen. Während Ihrem «Ausfall» wurde Sie von Ihrem Mann, Freunden, Eltern, der Schwiegermutter und guten Nachbarn tatkräftig unterstützt.


Entbehrlich sein können

Vor Kurzem waren wir bei Freunden zum Essen eingeladen. Und mein Mann erzählte von meinem Zusammenbruch. Er fand die Zeit sehr bereichernd und trotz der ganzen Tragik auch schön. Ich wollte gerade einen genervten Kommentar von mir geben, bis ich kurz innehielt. Eigentlich hat er recht: Hatte ich während dieser Zeitspanne doch gelernt, dass es auch ohne mich ganz gut funktioniert. Die Erkenntnis, entbehrlich zu sein und nicht immer alle Fäden in der Hand halten zu müssen, war zwar hart, aber zugleich auch entspannend. Unter anderem hat es auch dazu geführt, dass mein Mann und ich im vergangenen Sommer wieder zu einem Paar geworden sind und nicht mehr nur eine gut funktionierende Firma.

Sei nicht so streng zu dir!

«Mami, was luegsch immer soo?» – «Weil ich euch so gern habe.» Zu merken, dass die Kinder während der vergangenen Monate in meinem Leben nur das Beigemüse waren, macht mich am meisten fertig. Klar, ich habe mich um sie gekümmert: Um 12.15 Uhr stand das Mittagessen jeweils auf dem Tisch, die Hausaufgaben wurden kontrolliert, Ausflüge in den Zoo oder den Skatepark unternommen und eine Gutenachtgeschichte vor dem Einschlafen erzählt. Aber, wenn ich ehrlich bin, habe ich alles nicht besonders gerne gemacht. Es musste halt einfach sein. Falls mein vorgesehenes Kinder-Organisationsprogramm mal nicht wie ausgedacht funktionierte, wurde ich laut, brach in hysterisches Geschrei aus, wurde wütend. Etwa wenn die Kids nicht Punkt 20.15 Uhr in ihren Betten lagen. Dann konnte ich ausflippen. Mit der Folge, dass ich als Nervenbündel in den ersehnten Feierabend startete.
Ehrlich zu sein, ist manchmal ganz schön anstrengend. Aber es muss sein. Das lerne ich in den regelmässigen Sitzungen mit meinem Psychiater. Denn ein Burn-out ist letztlich nichts anderes als ein Warnschuss. Ein Signal dafür, sich im Leben ein paar zentrale Fragen zu stellen. Es wäre natürlich viel angenehmer gewesen, ich hätte die Zeichen schon vor meinem Knock-out erkannt. Auf meinem Mann gehört, der immer wieder gesagt hat: «Mach mal Pause» oder «Sei nicht so streng zu dir.» Leider habe ich es als doofes Männergeschwafel abgetan – bei den männlichen Artgenossen ist ja das ganze Leben immer voll easy. Jetzt kriege ich die Easyness also ärztlich verordnet. Zu Beginn habe ich mich zwar noch dagegen gesträubt. Weil es natürlich gleichzeitig bedeutet, dass ich auf Hilfe von anderen angewiesen bin, zugeben muss, dass ich «schwach» bin. Das fällt nicht leicht. Mir zumindest. Aber es ist die einzige wirksame Strategie. Komischerweise höre ich – je offener ich über mein Burn-out im Freundes- und Bekanntenkreis spreche – zahlreiche ähnliche Storys: «Ach, ich habe nach meiner Trennung auch ein Antidepressivum gebraucht, wie viel Milligramm nimmst du denn?» oder «Meine Schwester war sogar für ein paar Wochen im Sanatorium, um ihre Erschöpfungsdepression auszukurieren; das hat ihr echt gut getan.» Die ganze Welt scheint ausgebrannt zu sein.

Im Sog der Gedankenspirale

Keine Mails checken, kein Facebook, nicht zur Arbeit gehen; Aufgaben wie Waschen, Einkaufen und Kochen delegieren – an den Mann, Freunde, die Mutter, die Nachbarn. Nur die Sachen machen, die wirklich Freude bereiten. Die mir gut tun. Aber, was tut mir eigentlich gut? Ich kann mich nicht erinnern. Weiss nur, dass ich krangeschrieben bin.
Diagnose: Burn-out und Erschöpfungsdepression mittleren Grades. Ich solle nicht zu viel grübeln, hat der Psychiater gemeint. Die Gedankenspirale zu unterbrechen versuchen, wenn sich das Rad zu drehen beginne. Wie Wolken soll ich die Gedanken an mir vorbeiziehen lassen. Das Valium sei nur für den Notfall gedacht, so lange das Antidepressivum nicht seine Wirkung zeige. Der Notfall tritt schneller ein als gedacht: Die Wolken lassen sich nicht bewegen, keinen Millimeter, sondern kumulieren sich zu einem grauen Pulk. Wie konnte es so weit kommen? Hatte ich die Zeichen nicht erkannt? Hätte ich vielleicht schon länger einen Gang runter schalten müssen? Die Prioritäten anders setzen? Nicht so hohe Ansprüche haben? Solche Sachen werden ja immer als Ursache im Zusammenhang mit Burn-out genannt. Es stimmt schon, ich neige zum Perfektionismus. Steht ein Kindergeburtstag ins Haus, backe ich den Kuchen auf alle Fälle selber, alles andere erachte ich als billig. Ich hecke mir zahlreiche Spiele aus, bastle eine Piniata und fertige Dekorationen an. Das mache ich mit Leidenschaft und gerne. Die Arbeiten, die ich an meinen Bürotagen nicht fertigkriege, nehme ich nach Hause und schliesse sie abends oder am Wochenende ab. Das ist für mich keine mühsame Verpflichtung – schliesslich bereitet mir mein Beruf Freude. Beim Essen mag ich es frisch – nix Tiefkühlpizza oder Fischstäbchen. Ab und zu Pasta, okay, aber gerne denke ich mir auch mal was Neues aus. Trotz Putzfrau putze auch ich. Mit zwei Kindern fällt einfach ständig Schmutz an und ich mag es nicht, in einer unaufgeräumten, dreckigen Wohnung zu leben. Ist es sauber, bin ich zufrieden. Freunden zu helfen, ist für mich selbstverständlich und macht mich glücklich. Oder bilde ich mir das alles nur ein?

Sie tippe eher auf ein Burn-out. Vielleicht begleitet von einer Erschöpfungsdepression, sagte meine Hausärztin, als ich ein paar Stunden später – immer noch heulend – ihr gegenüber im Untersuchungszimmer sitze. «Ich kann den verdammten Hahnen nicht finden, um meine Tränen abzustellen», sage ich ihr. «Wenn ich daran denke, dass ich heute noch in den Laden muss, um etwas fürs Abendessen einzukaufen, schnürt es mir die Kehle zu. Und dann wäre da noch mein Hautausschlag, die Schuppenflechten an Ellenbogen und Knien, die mich nun zwar schon seit ein paar Jahren begleiten, aber in den letzten Tagen unheimlich gewachsen sind. Die werden bald über meinen ganzen Körper verstreut sein», sage ich. Es werde ganz schlimm kommen. So schlimm, dass ich mit meinen Kindern den ganzen Sommer über nicht in die Badi werde gehen können. Sie sollen sich für ihre Mutter ja nicht schämen. Deshalb brauche ich unbedingt eine Creme, um den Hautausschlag unter Kontrolle zu bringen. Wie ich bereits wisse, werde das nicht viel bringen, sagt mir die Ärztin, da mein Ausschlag chronisch sei. Und, was ich momentan brauche, sei alles andere als Kontrolle. Ruhe würde sie mir vor allem empfehlen und mich gerne zu einem Spezialisten überweisen.

Ich kann nicht mehr

Es ist die Hölle. Als ich an jenem Dienstagmorgen Ende Juni aufstehe, den Kopf vollgepackt mit Dingen, die ich heute noch zu erledigen habe: Mails, die ich unbedingt noch beantworten muss; Herr Huber soll sich nun endlich entscheiden, das muss ich ihm klar machen – Hosen, die ich für die Kleine in der Stadt zu besorgen habe, weil kein einziges Paar mehr in ihrem Kleiderschrank hängt, das ihr noch passt – Wäsche, die sich im Korb zu einem Matterhorn türmt, will unbedingt noch gewaschen werden, schliesslich stehen die grossen Sommerferien vor der Türe – um elf zum Kaffee mit Claudia; ich kann ihr unmöglich schon wieder absagen, sie hält mich ja ohnehin schon für eine uninspirierte Langweilerin, die sich keine Zeit mehr für ihre Freunde nimmt – und um halb vier vor der Schule stehen und den Grossen abholen, um ihn zur Schlagzeug-Schnupperstunde zu begleiten, wie versprochen.
Mit diesem chaotisch geführten Dialog in meinem Kopf sitze ich auf dem Bett. Um mich herum das gewohnte morgendliche Tohuwabohu. Lautes Radiogedröhne aus der Küche – die Kinder, die irgendetwas suchen: der Chindsgibändel, die Znünibox, die Badekappe sind heute spurlos verschwunden. Schleierhaft, wie diese Dinge in unserer kleinen Wohnung immer wieder vom Erdboden verschluckt werden. Für gewöhnlich wäre es nun an mir, das Zeug wieder aus dem Zylinder zu zaubern; täätää, hier ist sie wieder, die Znünibox! Aber gewöhnlich ist heute Morgen gar nichts. Als mein Mann mich immer noch auf dem Bett sitzend entdeckt, tränenüberströmt, stammle ich: «Ich kann nicht. Hab glaubs einen Nervenzusammenbruch.»

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Runterfahren
Sich Zeit nehmen für etwas, das nichts mit den Kindern oder der Arbeit zu tun hat. Spazieren, Sport treiben. Entspannungsmethode erlernen, Gelassenheit üben. Zurückhaltung mit TV und sozialen Medien – sie aktivieren das Nervensystem und fressen Zeit, die anders- wo besser investiert ist.

Ernährung
Gesund essen macht körperlich stressresistent. Gut sind Vollwertgetreide, Hülsenfrüchte, Gemüse, Sprossen und Früchte, Nüsse, gesunde Fette und relativ wenig tierisches Eiweiss.

Aufbauen
Sich auf die innere Stärke besinnen und wieder aufstehen: 1000-mal. Abends vor dem Einschlafen überlegen, was man heute gut gemacht hat. Morgens nach dem Aufwachen danken für die kleinen und grossen Sachen im Leben. Freude und Humor kultivieren. Erfolge und Highlights feiern, auch wenn sie noch so klein sind – mit einem Glas Prosecco, einer Tasse Tee, guter Musik oder einer herzlichen Umarmung.

Gemeinsamkeit suchen
Als Kleinfamilie nicht allein bleiben, sondern sich überlegen, welche Formen von Vernetzung und konstruktiver Unterstützung Familie, Nachbarschaft und Freunde leisten können. Geben und nehmen.

Professionelle Hilfe
Adressen vermitteln und weiterhelfen können Mütter- und Väterberatung, Mütterhilfe, Pro Juventute, Spitex, der Hausarzt, Psychiaterinnen und Psychotherapeutinnen. Hilfreich ist eine Ressourcen-orientierte, achtsamkeitsbasierte Gesprächstherapie sowie praktische Unterstützung bei der Bewältigung der aktuellen Situation.

Medikamente
Ein alleiniges Burn-out wird in der Regel nicht mit Medikamenten behandelt. Selten braucht es ein Schlaf- oder Beruhigungsmittel. Dieses behandelt jedoch nur die Symptome und birgt die Gefahr der Abhängigkeit. Ist eine Depression vorhanden, kann vorübergehend ein vom Psychiater verschriebenes Antidepressivum sinnvoll sein.

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Barbara Hochstrasser ist Psychiaterin und Chefärztin der Privatklinik Meiringen BE sowie Präsidentin des Schweizerischen Expertennetzwerks für Burn-out.

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