Eifersucht, Kontrolle, zu viel Nähe, zu wenig Freiheiten, Distanz zu Freunden: Die verwirrende Zeit von Corona ist für Partnerschaften eine besondere Herausforderung. Sind Singles zu beneiden?
Mit einer Prise Boshaftigkeit zitiere ich gern wieder einmal den antiken Sokrates: «Heirate und du wirst es bereuen. Heirate nicht, du wirst es bereuen.» So haben viele Verpaarte und viele Singles eines gemeinsam: Sie beneiden einander. Zu Recht.
Der jetzt erzwungene Bruch unserer Routinen und unseres Alltags könnte auch eine Chance sein.
Vielleicht. Fast alles um uns herum ist ungewiss und strittig. Auch in unserem Corona-Kittchen ist manches aus den Fugen. Seltsam. Irritierend. Ebenso in unserem Inneren. Das macht uns doch eher angst und bang als neugierig auf frische Chancen.
Sie spüren in Ihrer Arbeit keinen Ruck unter den Menschen, einen Aufschwung, einen Willen zur Veränderung?
Nein. Im Moment nicht. Ich habe gestern von einer neuen Umfrage gelesen, wonach nur 15 Prozent der Leute sich eine wirkliche Veränderung in ihrem Leben wünschen. Die übrigen 85 Prozent möchten ganz einfach zurück zum Vor-Corona-Leben. Das kommt mir sehr bekannt vor. Ich habe auch nur geringe Lust, schwimmen zu lernen. Obwohl der Wasserpegel ansteigt.
Und die Liebe, wie wird sie sich in Zeiten von Corona verändern?
Vermutlich wird eine beinahe evolutionäre Anpassungsleistung nötig werden. Wir werden vielleicht das Lieben richtig neu definieren müssen. Die Liebe bleibt voraussichtlich kaum das verträumte Gefühl, das wir gewöhnlich mit ihr verbinden. Sie wird eher eine kraftvolle Entscheidung: Ja, ich halte zu dir! Was auch immer auf uns zukommt.
Das klingt jetzt wenig romantisch.
Ja, möglich. Der Charme dieser Liebe ist ziemlich herb. Aber bitte, das haben Sie bestimmt schon tausend Mal gehört: Die romantische ewige Liebe hat ein viel zu knappes Verfallsdatum. Ist nicht wirklich überlebensfähig. Ich weiss, man will das nicht wahrhaben. Nicht einmal, wenn die eigene Liebe am Verdorren ist.
Könnte es sein, dass Ihr Beruf Sie zum Liebes-Pessimisten gemacht hat?
(Überlegt länger.) Ja, ich bin wohl von Seelenverwandtschaft, Matching-Wahn und Liebesträumen abgekommen. Bin lieber ausgenüchtert und wach – bis ich mich das nächste Mal verliebe.
Wie geht es eigentlich Ihnen? Sie gehören zu der Corona-Risikogruppe.
Mit meinen 77 Jahren lebe ich seit Langem riskant, nicht erst seit dem 16. März. Aber das Risiko interessiert mich nicht. Ich habe viel zu tun. Beruflich, in der Paar-Praxis. Ich lese und schreibe viel. Ich liebe diese Lebenswucht.
Haben Sie Kontakt zu Ihren Enkelkindern?
Ja, klar – und wie! Schon seit Anfang April habe ich mit ihnen bei wärmsten Klimawandelwetter im nahen Könizbergwald getroffen, immer wieder und mit dem grössten Vergnügen. Wir bauten eine grosse Zwergenstadt, und jedesmal, wenn wir wieder kamen, hatten andere Familien daran weitergearbeitet. Die illegale Corona-Town ist und bleibt ein Highlight für uns.
Was denken Sie, wie sieht unsere Gesellschaft aus nach Corona? Was wird bleiben?
Bleiben wird wohl vorerst die Aushebelung unserer verfassungsmässigen Grundrechte. Das gibt mir zu denken. Ich kann mir nicht so recht vorstellen, wie wir da wieder rauskommen. Und welche Spuren das in unserer Demokratie hinterlassen wird.
Werden sich die Menschen wieder so nahe kommen wie zuvor?
Ja, leider. Es ist zu befürchten.
Ups! Plädieren Sie generell für mehr Abstand, auch in der Partnerschaft?
Ja. Für mehr Platz und Raum, mehr Zwischenraum. Für mehr Spielraum. Zum immer wieder aufeinander Zugehen. Für die Anziehung. Zum Spielen. Zum Atmen. Zum Leben.