Ein instabiles Selbstwertgefühl
Bei Laura ging es selten um ihr Aussehen, dafür um alles andere: «Daniel war nie zufrieden. Ich war nie gut genug, habe ihn nicht genug unterstützt, nicht genug zu Hause gemacht, mich nicht genug um die Kinder gekümmert, zu wenig Geld verdient, zu viel gearbeitet, ach ja, und im Bett war ich langweilig. Irgendwann wusste ich gar nicht mehr, was ich noch tun soll, wie ich mich verhalten muss, damit er nicht ständig wütend auf mich ist.»
Aber warum werten Narzisst:innen ihre Partner:innen überhaupt ab? «Menschen mit einer narzisstischen Persönlichkeitsstörung haben ein überhöhtes, aber sehr instabiles Selbstwertgefühl, das durch ständiges Betonen der eigenen Grossartigkeit sowie Anerkennung von aussen gefüttert werden muss. Die erfolgreiche Abwertung anderer gibt ihnen das Gefühl von Macht, das dieses wackelige Selbstgefühl wieder erhöht und stärkt», sagt Delia Schreiber.
Das klingt schrecklich, finde ich, und frage meine Gesprächspartner:innen: «Warum zum Teufel hast du das alles so lange mit dir machen lassen?» Alle antworten, dass sie sich viele Male trennen wollten, es aber einfach nicht schafften. Dass sie sich von ihren Partner:innen immer wieder einlullen liessen, weil diese ja auch richtig schöne Seiten hätten. Und dass sie sich diese Frage hinterher lange selbst gestellt und auch sehr lange dafür geschämt hätten, nicht früher gegangen zu sein. Diese Scham ist auch einer der Gründe, warum niemand von ihnen je mit Aussenstehenden darüber sprach, was in ihren Beziehungen wirklich ablief. Laura hat es mir ganz am Anfang der Recherche schon gesagt: «Jeder hat mitbekommen, wie Daniel mir immer an meinem Geburtstag diese riesigen Blumensträusse ins Büro schickte. Wer soll mir denn da glauben, dass er mich zu Hause kleinhält und ständig demütigt?»
Jana hatte auch noch andere Gründe, zu bleiben. «Ich hatte grosse Angst vor den Konsequenzen. Alex hat mir mein komplettes Selbstvertrauen genommen, bis ich irgendwann das Gefühl hatte, ich könne nicht mehr auf eigenen Füssen stehen. Ausserdem dachte ich wohl bis zum Schluss, ich könnte ihn retten, ihm zeigen, wie schön die Welt ist, wenn man nur positiv darauf schaut.» Christoph meint: «Ich bin ein totaler Beziehungsmensch und habe lange gedacht, dass ich schon zu viel investiert habe, um aufzugeben. Ausserdem kann ich eine Person, die psychische Probleme hat, doch nicht einfach verlassen! Was wäre ich denn für ein Mensch?» Laura: «Unsere Beziehung war eine emotionale Achterbahnfahrt, in der sich wunderschöne Phasen mit schlimmen abwechselten. Daniel war ja nicht immer gemein, sondern auch immer wieder sehr liebevoll. Ich habe wohl bis zum Schluss gehofft, dass die guten Phasen überwiegen würden, am Ende waren es aber leider die schlechten.» Und Stefanie sagt: «Ich habe vieles nicht sehen wollen und sein Verhalten mir gegenüber immer entschuldigt. In meinen Augen war er ein kleiner, verletzter Junge, der es einfach nicht besser wusste. Auch heute, nach 17 Jahren Ehe, denke ich nicht, dass er grundsätzlich ein schlechter Mensch ist.»
Viele Versuche, sich zu trennen
Und wie haben die vier den Absprung dann doch noch geschafft? Christoph lernte eine andere Frau kennen und lieben und realisierte dadurch, dass sich eine Beziehung nicht so anfühlen muss wie die mit Ina. Trotzdem blieb er erst bei ihr, wegen seines Sohnes. Erst als seine engsten Freunde ihm sagten, dass er Ina verlassen müsse, weil er sonst daran kaputtgehen würde, konnte er endlich loslassen. Stefanie beendete es, als sie herausfand, dass Emanuele sie schon länger betrog. Bei Laura war das Fass voll, als sich Daniels Wut anfing, auch gegen die Kinder zu richten: «Eines Abends schrie er sie am Esstisch an, sie seien genauso faule Ar***löcher wie ihre Mutter. Das war der Anfang vom Ende für mich.» Und Jana? «Ich verdanke es der Tatsache, dass unser Sohn nach der Geburt sehr lange keine Nacht richtig schlief. Weil Alex keine einzige Nachtschicht freiwillig übernahm, entschloss ich irgendwann, eine Nacht pro Woche ins Hotel zu gehen. Eigentlich nur, weil ich so erschöpft war und endlich mal wieder schlafen wollte. Doch als ich Abstand hatte, realisierte ich, dass ich mich viel besser und endlich wieder wie ich selbst fühle, wenn ich nicht mit ihm zusammen bin.»
Mit der finalen Entscheidung war es jedoch bei allen nicht getan. Denn von Narzisst:innen trennt man sich nicht einfach, das bestätigt auch die Psychologin. «Wenn Narzisst:innen in ihrem Selbstwert gekränkt werden, weil sie verlassen werden, können sie richtig böse werden. Sie schlagen dann auf viele Arten um sich.»
So suchten sie sich die vier Betroffenen vorab professionelle Hilfe, also Therapeut:innen und Anwält:innen oder Mediator:innen, und öffneten sich endlich ihrem Umfeld. Stefanie suchte sich sogar neue Freund:innen: «Mein Ex ist ein Blender, den man von Anfang an mag. Er ist extrem hilfsbereit und charmant. Ihn muss man einfach lieben. Für viele ist es unvorstellbar, dass so ein Mensch seine Frau emotional und finanziell missbraucht. Ich wusste, dass ich Personen brauche, die mich nicht verurteilen und mir Halt geben, damit ich den Absprung schaffe. Es heisst nicht umsonst, Frauen in missbräuchlichen Beziehungen benötigen rund sieben Anläufe, bis sie sich endgültig trennen.»
Auch nach der Scheidung noch Terror
Auch nach der Trennung ist es für alle bis heute schwierig. Weil ihre Ex-Partner:innen nicht ticken wie andere. Christophs Ex-Frau Ina versucht ihm den gemeinsamen Sohn zu entziehen. Sie streiten bis heute vor Gericht um die Verteilung der Obhut. Janas Schwiegerfamilie hat sich von ihr abgewendet, weil Alex ihnen ständig Lügen über sie erzählt. Auch die gemeinsame Tochter frage sie immer wieder, warum sie den armen Papa verlassen und so die Familie kaputtgemacht habe. «Sie hat auch schon ein paar Mal gesagt: ‹Papa sagt, du könntest jederzeit zurückkommen, willst aber keine richtige Familie mit uns sein.› Es bricht mir jedes Mal fast das Herz», sagt Jana. Daniel versucht Laura bis heute finanziell oder mit der Kinderbetreuung zu erpressen, zum Beispiel wenn sie auf Geschäftsreise muss und er ihr androht, er würde die Kinder dann alleine zu Hause lassen.