Tiefe Trauer
Es war Liebe auf den ersten Blick. Er war 18. Sie etwas älter. Er wusste, sie war es, mit ihr wollte er zusammenbleiben, lieben und leben. Und wenn man weiss, was man will, warum warten? Das erste Kind kam bald, kurz vor dem zweiten heirateten sie. Da war er zweiundzwanzig und Student. Sie in Ausbildung. Zwei Jahre später dann das dritte Kind. «Es waren gute Zeiten», so Georg Mattmüller.
Doch Kinder, Studium und Job fordern, machen Arbeit, lassen wenig Zeit. «Die Probleme kamen schleichend», sagt er. In allen Bereichen: bei der Betreuung der Kinder, der Belastbarkeit, dem Geld. «Ihre Vorstellung von Familie haben sich nicht erfüllt», sagt Mattmüller. Und irgendwann fing sie an, wegzugehen. Bis sie dann wegblieb. Die Kinder waren drei, fünf und acht Jahre. Zwei Mädchen, ein Junge. Sie blieben beim Vater. Er war 27 Jahre alt.
«Ich fühlte tiefe Trauer darüber, dass wir gescheitert waren», sagt Georg Mattmüller. Doch mit der Endgültigkeit kam auch Erleichterung, Entlastung. «Im dauernden Zerwürfnis zu leben, brauchte enorm viel Energie.» Nun konnte er durchatmen, sich auf sich selber verlassen. «Es gab wieder Verbindlichkeiten, das Leben wurde auf eine gewisse Weise einfacher.» Auch für die Kinder, die gelitten hatten, weil die Eltern sich ständig stritten, und weil die Mutter immer wieder wegging. «Als es definitiv war, spürte ich auch bei ihnen eine gewisse Entlastung», so Mattmüller. Doch sie waren traurig, verunsichert. Wo ist Mama jetzt, wie geht es weiter? Und wenn Mama gegangen war, geht Papa dann auch, irgendwann, einfach so? «Die Verlustängste waren gross», so Mattmüller.
Harter Alltag
Sie wohnten am Stadtrand von Basel. In einem Einfamilienhaus, das er von seiner Mutter mieten konnte. Alimente wurden ihm vom Gericht keine zugesprochen. Eine Bevorschussung hätte er gerichtlich anstreben müssen. «Doch dazu fehlte mir die Kraft», so Georg. Aus dem Studium ist er bald rausgeflogen. «Ich hatte weder Zeit dafür und auch keinen freien Kopf», sagt er. Er hat gejobbt, hat für die Kirche Alterswohnungen geputzt und bei der Post Pakete gestapelt. Durch diese Teilzeit- und Schichtjobs hatte er mehr Zeit für die Kinder. Trotzdem war er auf Fremdbetreuung angewiesen. «Ich hatte Glück mit tollen Nachbarn, dem Freundesnetz und meiner Familie.» Die Ex-Frau wohnte zwar ganz in der Nähe, ein regelmässiger Kontakt wäre möglich gewesen, habe aber nicht stattgefunden. Der Alltag mit den Kindern war eine grosse Organisiererei, enorm anstrengend. «Hin- und herseckle zwischen Job, Schwimmunterricht, Schule, Kindergarten und Hausarbeit, waschen, saugen, kochen », zählt Georg auf und zieht das Fazit: «Man ist immer am rennen, jeden Tag von neuem.» Und trotzdem hat er das Gefühl, dass es nie reicht; er kennt das schlechte Gewissen, dass die Kinder trotz allem zu kurz kommen.