Aber man hört und liest doch immer «Der Appetit kommt beim Essen» oder «Man ist doch kein Stück Seife und nutzt nicht ab».
Aber wenn er nicht kommt, der Appetit? Und: Doch, in gewisser Weise ist der Mensch ein Stück Seife. Er nutzt sehr wohl ab. Erfahrungen machen etwas mit einem. Auch erotische. Menschen sind Lernwesen. Durch lustloses Mitmachen beim Sex und damit oft einhergehende schlechte Erfahrungen kommt eine traurige Spirale in Gang. Deshalb ist Gnadensex Mist. Der macht etwas kaputt. Sie ahnen ja nicht, wie viele – durchaus selbstbewusste – Frauen im Bett Dinge tun, die sie nicht mögen. Dem Verkehr zustimmen, obwohl sie dabei Schmerzen haben. Und für Schmerzen gibt es sehr viele Gründe. Oder Mütter, die es «einfach hinter sich bringen», obwohl sie unendlich müde sind oder mit den Gedanken ganz woanders. Das sollte nicht sein. Das macht aus etwas, das eigentlich schön sein könnte, gemeinsame Erotik nämlich, Stressiges, Belastendes, Problembehaftetes.
Wir reden hier mehr über Frauen als über Männer. Ist «sexfrei» eher ein Frauending?
Nein. Natürlich nicht. Es zeigt sich nur anders und später. Frauen halten lange einfach hin. Faken Orgasmen, damit es schneller vorbei ist und all so was. Männer reagieren schnell – und panisch. Zwei, drei Mal keine vernünftige Erektion und sie sind im Alarmmodus. Dann wird zügig das ganze Programm abgespult: Viagra vom Arzt oder vermeintlich hilfreiche Drogen aus dem Netz. Oder Experimente mit Penispumpen. Ich sag Ihnen, wenn so ein Penis ganz blau aus einer Penispumpe kommt, das ist kein schöner Anblick…
Okay, ja. Aber das ist nicht «sexfrei».
Danach läuft es so: Klappt es mit der Erektion dann immer noch nicht – denn auch Viagra ist ja kein Garant – dann behaupten Männer, sie seien zu müde und der Stress auf der Arbeit sei schuld. Bei den Partnerinnen – ich bleibe der Einfachheit halber mal beim heterosexuellen Paar – kommt dann, zack, der Gedanke: «Ich bin nicht attraktiv.» Und dann wird die nächste Eskalationsstufe gezündet. Die Frau denkt, sie sei nicht schön, wittert eine Affäre… Dann werden alle Tipps aus Netz und Medien beherzigt, sie wartet dann etwa nackt oder in einem Hauch von Schwarz zu Hause auf dem Sofa, wenn er nach Hause kommt, er fühlt sich gedrängt, lehnt ab, sie fühlt sich zurückgewiesen und gedemütigt…. Es wird so richtig schlimm.
Also kein guter Gedanke: Kinder zum Grosi, rein in die sexy Dessous und los geht’s?
So lange es keine Probleme gibt, ist alles okay. Aber bei Schwierigkeiten kommt ebendieser fatale Mechanismus von Drängeln, sich zurückziehen, noch mehr Drängeln, noch weiter zurückziehen in Gang. Die Gedrängelten meiden dann irgendwann jede liebevolle Berührung und jedes Küssen, weil sie befürchten, damit schlafende Hunde zu wecken und zu weiterem ermuntert zu haben. Bei einem so verhakten Paar gibt es dann keinerlei Zärtlichkeit mehr und auch keinerlei Bestätigung des Selbstwertgefühls des zurückgewiesenen Partners oder der zurückgewiesenen Partnerin… Beide fühlen sich dann unattraktiv, was auch nicht erotikfördernd ist.
Nun ja, es ist ja auch ein herber Schlag, nicht begehrt zu werden
Wieso eigentlich? Das muss man sich doch mal fragen. Wieso ist es fürs Selbstwertgefühl so wichtig, dass der andere einen anbetet, und findet, man sei eine Sexgöttin oder ein Sexgott? In einer Partnerschaft muss es doch wohl auch anderes geben, was verbindet und worauf man sein Selbstwertgefühl gründen kann. Da gibt es ja hoffentlich mehr als nur die Performance im Schlafzimmer. Da gibt es doch auch noch andere Qualitäten etwa als Mutter oder Vater, als Verbindendes die Kinder oder gemeinsame Hobbys…
Nicht für jeden ist gemeinsames Werkeln an den Rosen-Rabatten ein adäquater Ersatz für Sex.
Stimmt. Aber ich finde, man muss miteinander darüber reden. Und ganz klar sagen «Ich will das jetzt gerade nicht. Kannst du damit leben? Wie können wir uns einigen? Wie finden wir einen Kompromiss?
In Ihrem Buch schlagen Sie – wenig romantisch – einen Tauschhandel vor. Etwa: zweimal Bügeln gegen einen Handjob.
Ach, diese Romantik. Die ist sowieso eine Erfindung der Neuzeit. Aber ich finde es eigentlich auch nicht unromantisch, mit der geliebten Person ehrlich über seine tiefen Gefühle zu sprechen. Darüber, dass man sich vielleicht gerade unsexy fühlt, weil der Bauch von der Geburt schlabberig ist; darüber, dass einem im Büro alles über den Kopf steigt; über die Überforderung als Eltern... Das zeugt von Vertrauen. Vertrauen ist romantisch und nur so lässt sich eine Lösung erreichen.
Für eine kurze Zeit würde ich Ihnen recht geben. Aber auf Dauer? Da habe ich meine Zweifel.
Klar, wird das schwierig. Da muss man über Verlustängste reden. Darüber, ob man das Treue-Prinzip aufgibt, die Beziehung für Dritte öffnet. Ob Swingen eine Option sein könnte, Sextoys oder der Rat: Da ist das Badezimmer. Mach die Tür zu und dann viel Spass mit dir selbst…
Eine Trennung steht aber auch im Raum.
Ja, tut sie. Das ist so. Aber Sex, der freudlos betrieben wird, nur damit man ihn hat, führt langfristig auch zur Trennung und beschädigt zudem massiv die Person, die nur aus Pflichtgefühl mitmacht. Deshalb finde ich: Reden wir über Sex. Aber reden wir genauso darüber, wenn wir keinen Sex haben oder keinen wollen. Nur das ist frei.