Sie sind Mutter von zwei Buben. Worauf achten Sie in der Erziehung?
Jungs sehen ihr Genital und haben daher von Anfang an einen anderen Zugang zu ihrem lustorientierten Körper. Daher ist es wichtig, bei Jungs mehr auf Gefühle einzugehen, statt auf die Funktion des Genitals. Wir müssen Jungs weinen lassen, sie viel mehr in den Arm nehmen. Studien zeigen, dass Eltern ihre Töchter mehr in den Arm nehmen als ihre Söhne, um sie zu trösten. Und Jungs holen sich ihren Körperkontakt durch Rangeln oder Schubsen. Wir interpretieren das oft falsch. Aber eigentlich ist das eine Aufforderung: «Ich brauche Körperkontakt.»
Haben es Buben schwerer als Mädchen?
Die heutigen Jungs können nichts fürs Patriarchat. Die Bewegung der Vulva ist sehr bestärkend und wichtig. Aber Jungs dürfen auch gleichwertig aufwachsen. Wenn sich ein Mädchen wehren kann, heisst es oft: «Super, sie ist tough.» Und bei Jungs: «Oh, er ist zu wild.» Diese Zuschreibungen sind stigmatisierend in beide Richtungen.
Sie haben mal geschrieben, dass Sexualerziehung auch die Art und Weise sei, wie sich Eltern im Spiegel betrachten. Erzählen Sie mehr.
Paul Watzlawick sagt in Bezug auf Kommunikation «Man kann nicht nicht kommunizieren». Das gilt auch für Sexualerziehung. Auch wenn Eltern Sexualität nicht thematisieren, lernt das Kind: «Aha, darüber wird bei uns nicht gesprochen.» Und sucht sich andere Wege, sei es Peergroup, Lehrpersonen oder Internet. Eine wichtige Frage dabei ist auch: Wie gehen Eltern mit ihrem eigenen Körper um? Wenn ein Vater sich vor dem Spiegel unzufrieden an den Bauch tätschelt oder die Mutter seufzend auf der Waage steht, registrieren Kinder ein Gefühl von Unzufriedenheit. Sie können es zwar nicht formulieren, aber sie beobachten und merken, da ist kein wohlwollender Blick oder Zuwendung zum eigenen Körper.
Zusammengefasst: Sexualerziehung kann sowohl heissen, sich als Eltern gemeinsam einen feministischen Porno reinzuziehen oder aber einfach mal wieder Joggen zu gehen?
Wenn wir unseren Kindern beibringen wollen, einen guten Umgang mit ihrem Körper zu haben, auf ihre Gefühle, Bedürfnisse und Grenzen zu achten, können wir das zu einem grossen Teil durch das Vorleben. Es kann schon damit beginnen, dass man beim Duschen wirklich bewusst das Wasser auf seiner Haut wahrnimmt. Oder auf der Toilette nicht schnell, schnell macht, sondern ganz langsam ein- und ausatmet. Da wären wir beim nicht-sexuellen Teil der Sexualerziehung. Da geht es nicht um Körperflüssigkeiten oder Fortpflanzung. Sondern um die Frage: Wie gerne habe ich mich selbst?
Ellen Girod hat mit Tina Reigel auch zwei Mal im Rahmen ihres Podcasts «Go Hug Yourself» über moderne Sexualerziehung gesprochen. Die Podcastfolgen sind hier zu hören.