Fernsehen statt ausgehen
Telephone, Internet, Fernsehen – mit rund 170 Franken im Monat ein nicht unwesentlicher Posten im Budget der Familie. Darauf zu verzichten kommt aber nicht infrage: Die Mutter schränkt sich lieber anderswo ein. Yasemin braucht ihr Telefon, um mit Kollegen in Kontakt zu sein.
Der Fernseher liefert Unterhaltung – schliesslich ist Claudia Hensle 90 Prozent ihrer freien Zeit zu Hause. Ausgehen, schon nur mit einer Kollegin auswärts einen Kaffee zu trinken, das kann sie sich nicht leisten. Und das Internet hilft ihr sparen, Ricardo sei dank. So hat sie Aminas Bett, inklusive Matratze und Bettwäsche, für einen Franken auf der Auktionsplattform gekauft; die gesamte Einrichtung des Zimmers der Erstklässlerin hat weniger als 100 Franken gekostet. Auch Weihnachtsgeschenke und viele Kleider ersteigert sie auf Ricardo. «Letzte Weihnachten war geil», schaltet sich Amina ins Gespräch ein, «ich habe einen Nintendo bekommen.» Claudia Hensle zwinkert und flüstert: «Ricardo.» Sie freut sich, wenn sie ihren Töchtern Wünsche erfüllen kann.
Sie selbst hat sich aus einem tiefen Loch wieder hochgearbeitet. Ihre Lebensgeschichte hat Spuren hinterlassen; Hensles Haut ist fahl, den Augen fehlt das innere Leuchten. Seit ihr Mann im Sommer 2009 den Wegweisungsentscheid der Schweiz akzeptiert hat und in die Türkei ausgereist ist, hat sie alle ihre Kräfte mobilisiert, um ihr Leben zu ordnen.
Am weissen Esstisch in der schlicht eingerichteten Wohnung erzählt sie offen von ihrer desaströsen Ehe. Ihr Mann war gewalttätig, kontrollierte seine Frau auf Schritt und Tritt, verbot ihr sogar Kontakt zu ihrer Schwester, der einzigen Verwandten. Meist arbeitslos, gab er trotzdem mit vollen Händen Geld aus. «Ich musste mich innerlich distanzieren», sagt Hensle, die damals Vollzeit als Sachbearbeiterin arbeitete, für die Kinder sorgte, den Haushalt erledigte. «Denn egal, was ich machte und wie viel ich arbeitete, es nützte nichts.»
Die Schuldenberge wuchsen ihr über den Kopf. Krankenkassenrechnungen blieben unbeglichen, die Kinder waren nicht geimpft, jahrelang hatten sie keinen Arzt gesehen. Tochter Yasemin, auf der Schwelle zum Teenageralter, schon damals gepierct und Raucherin, war voller Aggressionen. Am Tag, nachdem ihr Mann die Schweiz verlassen hatte, suchte Claudia Hensle die Opferhilfe auf und liess die Scheidung einleiten.