Selbst gelassen zu bleiben, tönt einfach, ist aber mitunter das Schwierigste. Denn unsere Kleinen geraten oft dann in Rage, wenn es überhaupt nicht passt. Fünf Minuten, bevor der Bus fährt, wenn das Mittagessen auf dem Herd steht oder das Geschwister gestillt werden will. «Möge ein Buddha sein, wer in solchen Situationen immer ruhig bleibt. Im Alltag ist es oft nicht leicht, auf jeden Wutanfall ideal zu reagieren», sagt Melanie Otto. Sie ist wissenschaftliche Mitarbeiterin am Transferzentrum für Neurowissenschaften und Lernen Ulm und forscht mit Schwerpunkt Selbstregulation.
Auch Entwicklungspsychologin Brigida Lorenz meint: «Hat man nicht die Möglichkeit, auf das Kind einzugehen, ist es wichtig, nachher darüber zu sprechen und dem Kind zu erklären, weshalb man so reagiert hat.» Sie berät als Brain-Coach Eltern in Sachen Gehirngesundheit und hat ein Workbook herausgegeben, wie Eltern gelassen mit Wutanfällen umgehen können. Darin beschreibt sie, dass man sich mit seinen eigenen Gefühlen auseinandersetzen soll, wenn das Kind tobt. Sie empfiehlt, diese laut auszusprechen, zum Beispiel: «Oh Mann, ich fühle mich so gestresst. Ich würde am liebsten laut schreien.» Auch das tönt gut – in der Theorie. Und in der Praxis? Gar nicht so einfach, wenn man zur Generation der emotionalen Analphabeten gehört. Viele heutige Eltern haben nicht oder nur wenig gelernt, ihre Gefühle wahrzunehmen und darüber zu sprechen. Das braucht also etwas Übung in ruhigen Momenten.
Doch weshalb ist es so wichtig, selbst ruhig zu bleiben? Hier kommt wieder die Hirnforschung ins Spiel. Es geht um die Spiegelneuronen. Das sind spezielle Nervenzellen im Gehirn, die dafür sorgen, dass wir Stimmungen und Gefühle anderer Menschen wahrnehmen können. «Sie sorgen dafür, dass das Kind das elterliche Verhalten kopiert», erklärt Brigida Lorenz. Das Kind spüre die Emotionen der Eltern anhand der Körperhaltung, Stimme, Mimik und Gestik.
Brigida Lorenz empfiehlt, sich neben das tobende Kind zu knien, ganz langsam auszuatmen und im Kopf von 90 rückwärts zu zählen. So lange dauere es etwa, bis die Stresshormone die Nieren erreicht hätten und dort herausgefiltert werden. Und: «Wenn man sich auf seinen eigenen Zustand fokussiert, geht die Zeit schneller rum.» In dieser ersten Phase soll man das Kind toben lassen und darauf achten, dass es sich nicht verletzt. Es gilt also, die starken Gefühle des Kindes auszuhalten.