Jung, grün und tief beseelt
Tatsächlich sind es gescheite und reflektierte Frauen, die sich in den sozialen Medien zu ihrem Kinderverzicht äussern. Die meisten, die öffentlich das Versprechen abgeben, kinderlos zu bleiben, sind jung, grün und tief beseelt von ihrem Anliegen. Viele von ihnen bedauern, voraussichtlich nie ein eigenes Baby in den Armen halten zu können. Eine, die schon zwei Kinder hat, aber der Umwelt zuliebe auf ein drittes verzichten möchte, ist Irina (29).
An einem Spätwintermorgen sitzen wir bei ihr zu Hause am Stubentisch. Während die 6-jährige Tochter im Kindergarten weilt, wuselt der 4-jährige Sohn putzmunter übers Parkett. Irina lebt mit ihren Kindern, getrennt von ihrem Mann, in einer Altbauwohnung in Luzern. Die Holzböden fallen schief ab, an den Wänden hängen grossflächige Bilder, überall stehen ästhetisch komponierte Hingucker:
«Die meisten Möbel habe ich aus dem Brockenhaus oder von meinen Grosseltern», sagt Irina lachend auf die bewundernden Blicke hin. Die grossgewachsene Frau mit dem zartrosa Turban auf dem Kopf lebt nach dem Zero-Waste- Prinzip: Konsum- und Abfallvermeidung stehen ganz oben auf der Liste. Was andere nicht mehr brauchen, daraus gestaltet die gelernte Innendekorateurin Neues. Die junge Mutter lebt vegan, fährt nicht Auto, fliegt selten.
Kein weiteres Kind, der Umwelt zuliebe
Das grösste Geschenk aber, das Irina der Umwelt machen möchte, ist es, von einem dritten Kind abzusehen. «Ich finde es klimatechnisch nicht okay, weitere Kinder in die Welt zu setzen», sagt sie. Obwohl sie eigentlich am liebsten eine ganze Fussballmannschaft von Kindern aufziehen würde. Dass sie ein «Muttertier» ist, findet offensichtlich auch ihr Kleiner: Zwischen Legospiel und Dattelnknabbern schmiegt er sich immer wieder an seine Mama.
Irinas Entscheid, keine weiteren Kinder zu bekommen, hat nichts mit «Regretting Motherhood» zu tun: Sie bereut es keineswegs, Kinder zu haben. «Jeder, der Kinder hat, liebt sie und würde sie nicht wieder hergeben!» Manchmal versuchen Wildfremde Irina aufs Glatteis zu führen, wenn sie von ihrem Entscheid erzählt, der Umwelt zuliebe keine weiteren Kinder gebären zu wollen. Sie unterstellen ihr dann, sie hätte ihre beiden geborenen Kinder wohl ebenfalls nicht gewollt. Das empört Irina.